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Dann gute Nacht Marie

Titel: Dann gute Nacht Marie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Becker
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bereits einiges an Farbe eingebüßt hatten. Im gleichen Zustand präsentierten sich die Hosen und Pullover, was ihnen den weiteren Verbleib im
heimischen Kleiderschrank sicherte. Sollten sich die Erben mit ihrer Entsorgung oder Verteilung beschäftigen. Bei den Blusen fand Marie ein paar Blindgänger, die offensichtlich schon sehr lange nicht mehr das Tageslicht erblickt hatten und definitiv nicht mehr dem entsprachen, was man heute Lifestyle nannte. SORTIEREN. Eine bunt karierte mit dezenten Schulterpolstern und eine beige grundierte mit Punkten und Spitzenkragen wanderten in den Müll. Genau wie zwei recht schlichte einfarbige Modelle, die schon an einigen Stellen kleine Löcher hatten. VERWERFEN. Wenn sie sowieso noch Unterwäsche kaufen musste, konnte sie auch gleich noch einige andere Teile erwerben. Ihr Erspartes wollte sie schließlich nicht unbedingt jemandem hinterlassen. Dann lieber in einen anständigen, weil imagetauglichen Nachlass investieren.
    Nach dieser Erkenntnis ging Marie die notwendige Kleiderzensur wesentlich leichter von der Hand. Noch einmal nahm sie sich die T-Shirts und Pullover vor und sortierte aufgrund geänderter Voraussetzungen deutlich großzügiger und -flächiger aus. Alles, was langweilig, unmodisch oder unvorteilhaft wirkte, wanderte sofort in den Sack. Nachdem sie in den letzten Jahren auch in den Klamottenkauf kaum Energie gesteckt hatte, fielen zumindest in die ersten beiden Kategorien viele der noch intakten Oberteile. Und da ihr Schrank keinerlei Röcke, Kleider oder sonstige etwas ausgefallenere Stücke beinhaltete, kamen die auch gleich noch auf den Klamotten-Einkaufszettel.
    Einen letzten peinlichen Moment bereiteten die Nachthemden, die unter einem Stapel durchaus ansehnlicher sportlicher Modelle noch einen Ladenhüter mit Mickey-Mouse-Aufdruck
aus längst vergangenen Jugendtagen versteckt hielten. Ihn hätte Marie eher in ihrem Kleiderschrank im elterlichen Kinderzimmer vermutet, wo sie einige Kleidungsstücke aus der Vergangenheit aufbewahrte, die sie aufgrund eines gewissen Nostalgiewertes noch nicht hatte entsorgen wollen. Nostalgie war jedoch jetzt gründlich fehl am Platz, und so war Marie wieder einmal froh, sorgfältig aussortiert zu haben. Mit den Altlasten im ehemaligen Jugendzimmer, die im Übrigen nicht nur kleidertechnisch eine Katastrophe darstellten, konnten sich die Eltern nach ihrem Tod beschäftigen. Eventuell würden einige dadurch hervorgerufene Erinnerungen die Trauer etwas erhöhen und so den Erfolg des Unternehmens posthum weiter verstärken. ZWISCHENABLAGE.
    Am Ende versenkte Marie noch mehrere löchrige Strümpfe und Socken sowie zwei aus der Mode gekommene Winterpullover, die ohnehin seit der ersten Maschinenwäsche gekratzt hatten, in ihrem Altkleidersack und schnürte ihn fest zu. Fast hätte sie das Kapitel schon als abgeschlossen betrachtet, als ihr glücklicherweise noch der Schuhschrank im Flur einfiel, dessen Inhalt ja irgendwie auch in diesen Zensurabschnitt gehörte. Als sie die erste Schublade öffnete, musste Marie unwillkürlich an einen Spruch ihrer Mutter denken, mit dem diese sie immer wieder zur sorgfältigen Pflege ihrer Treter veranlassen wollte: »Schuhe sagen viel über einen Menschen aus.«
    Als Marie nun ihre Fußbekleidung gründlich in Augenschein nahm, versuchte sie sich vorzustellen, was ein Außenstehender aus einem derartigen Schuh-Orakel gelesen hätte. Die zahlreichen Turnschuh-Paare würden
vermutlich als Einfallslosigkeit nicht nur im Bezug auf die Kleiderauswahl gedeutet werden, die schlichten Halbschuhe als Anzeichen für ein langweiliges Wesen und mangelnden Stil. Wer genauer hinsah, konnte bemerken, dass sie schon lange nicht mehr ausgegangen war, da sie keinerlei Pumps oder andere Absatzschuhe besaß. Auch Sandalen oder Sneakers - Fehlanzeige. Im Sommer hatte sie immer nur diverse Turnschuhe getragen. »Da gibt es auch noch einiges zu tun«, murmelte Marie, als sie mehrere der vorhandenen Paare in den wieder geöffneten Altkleidersack steckte.
    »Aber das Kapitel Aussortieren hätten wir zumindest abgeschlossen«, sagte sie zu Kasimir, als erwarte sie deutliche Anerkennung von seiner Seite. Der Kater jedoch dachte gar nicht daran, seine Zustimmung kundzutun. Bedeuteten doch Maries jüngste Entsorgungsschritte den Verlust seines gemütlichen Schlafplatzes, den er während der letzten Stunde in den für ihn keineswegs unmodernen oder kratzigen Winterpullovern bezogen hatte. Als Wiedergutmachung bot ihm sein

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