Dann gute Nacht Marie
dir helfen?« Lutz stand ebenfalls auf und kam um den Tisch herum. Nun stand er jedoch für seine sonst so souveräne Art etwas hilflos neben ihr. Marie war das ganz recht.
»Danke. Ich glaube, ich gehe am besten gleich nach Hause und versuche, das wieder rauszubekommen. Vielen Dank für den netten Abend.« Und bevor ihr Begleiter Einspruch erheben konnte, war Marie schon mit Jacke und Tasche in Richtung Ausgang unterwegs.
»Ich ruf dich an«, hörte sie Lutz noch, dann ging die Tür hinter ihr zu, und sie stand allein auf der Straße. Kurz blieb sie auf dem Bürgersteig stehen, in der Hoffnung, er würde ihr vielleicht nachkommen. Doch da er noch bezahlen musste und ihr bei der Fleckentfernung ohnehin nicht helfen konnte, wäre das wohl auch sinnlos gewesen.
Jetzt bereute sie schon fast wieder ihren unmöglichen Auftritt. RÜCKGÄNGIG? Wenn sie jetzt zurückgehen würde, wäre sie nicht mehr nur in Bezug auf ihren Kriminalroman, sondern auch noch hinsichtlich ihres urplötzlichen Aufbruchs in Erklärungsnot. Ganz abgesehen
davon, dass sie nach dieser Aktion wohl kaum noch mit der eigentlich nie endenden Nachsicht des freundlichen Lutz Maibach rechnen konnte.
Wie hatte sie nur auf die absurde Idee verfallen können, einen zudem noch relativ aktuellen Krimi nachzuerzählen? Das konnte doch nur schiefgehen. Und dann hatte sie ihn auch noch ohne ein weiteres Wort mit der Rechnung sitzen lassen. Dass er noch etwas von ihr würde wissen wollen, nachdem ihm die ganze Dimension ihrer Schwindeleien bewusst geworden war, war ziemlich unwahrscheinlich.
Beim Einsteigen in die U-Bahn wurde Marie schmerzlich bewusst, dass sie vielleicht gerade ihre zuverlässigste, bequemste und vor allem unterhaltsamste Informationsquelle zum Thema »Freitod durch Gift« fahrlässig über Bord geworfen hatte. Dass sie Lutz Maibach auch aus anderen Gründen gerne wiedergesehen hätte, gestand sie sich nicht ein.
Mit schmerzenden Fersen humpelte sie von der U-Bahn-Haltestelle nach Hause und malte sich aus, wie er sie enttäuscht und wütend von der Teilnehmerliste seines Seminars und mit einer unmissverständlichen E-Mail für immer aus seinem Leben streichen würde. RÜCKGÄNGIG? Als sie die Wohnungstür aufschloss, kam Kasimir wie meistens sofort in den Flur, um sie zu begrüßen. Er schien zu spüren, dass es um die Laune seines Frauchens nicht mehr so gut bestellt war wie vor ihrem Weggang, was seine Verwirrung auf diesem Gebiet nicht gerade verringerte. Er leckte kurz ihre Hand, roch offensichtlich den Wein auf der Hose und zog sich sofort auf seinen Sessel zurück, putzte sich und versuchte so, sich aus der höchst heiklen Angelegenheit herauszuhalten. Im Gegensatz zu Lutz
Maibach hatte Kasimir jahrelange Erfahrung mit der weiblichen Psyche und war nach einigen Tiefschlägen offensichtlich zu dem Schluss gekommen, dass im Katastrophenfall Abstand halten das einzige Mittel war, seine zumeist unschuldige Haut zu retten. Und das war für einen Kater schon sehr viel. SPEICHERN.
Marie ging sofort ins Bad und versuchte, mit Wasser und Seife ihre Hose von den Rotweinflecken zu befreien. Tränen liefen ihr über die Wangen, während sie mit einem Schwamm an der lädierten Jeans herumrubbelte und darüber nachdachte, wie sie die verfahrene Situation mit Lutz vielleicht doch noch wieder ins Lot bringen konnte. Als die dunklen Stellen auch nach einigen Minuten kaum heller wurden, beschloss sie, die Hose über Nacht in der Badewanne einzuweichen. Beim anschließenden Ausziehen entdeckte sie auch am schönen neuen Blütentop kleine Rotweinspritzer und heulte hemmungslos. Warum, wusste sie selbst nicht genau. Gebrauchter konnte ein Oberteil doch nicht aussehen. Und schließlich war es jetzt unwahrscheinlicher denn je, dass sie in diesem Leben noch einmal eine Gelegenheit bekommen würde, es zu tragen. UNTERSTREICHEN.
Welche plausible Erklärung konnte sie Lutz Maibach dafür geben, dass sie ihm einen bereits erschienenen Stoff als den ihren präsentierte hatte?
Sie konnte zum Beispiel vorgeben, sie hätte eine Schreibblockade und vor ihm nicht als unfähig dastehen wollen. Dann würde er sich allerdings bestimmt fragen, warum sie bereits nach einem Gift suchte, wenn sie noch nicht einmal Ansätze einer Handlung hatte.
Eine weitere Möglichkeit wäre zu behaupten, der Verlag säße ihr mit einem baldigen Abgabetermin so sehr im
Nacken, dass sie dem Druck an diesem Abend nicht mehr habe standhalten können und einige Details verwechselt habe, weil
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