Dann gute Nacht Marie
sie so durch den Wind gewesen sei. Allerdings gab es keinen Verlag, keinen Abgabetermin, keinen Roman .
Und Lutz würde ihr wohl kaum abnehmen, dass man als Autorin so verwirrt sein konnte und deshalb seinen eigenen Krimi nicht mehr kannte. Außer man war psychisch krank, und diesen Eindruck wollte sie natürlich auf keinen Fall auf ihn machen.
Obwohl sie in dieser Nacht zu keinem endgültigen Ergebnis in der Frage ihrer Ehrenrettung gegenüber ihrem Dozenten mehr kam, beruhigte sich Marie damit, dass sie Lutz in keinem Fall kampflos aufgeben würde. Irgendeine Erklärung würde ihr einfallen. Mit dieser Gewissheit schlief sie ein. SIE KÖNNEN DEN COMPUTER JETZT AUSSCHALTEN. ENTER.
17
DOKUMENT 17. Den Sonntag nutzte Marie dazu, ihre Gedanken zu ordnen. Nach den verschiedenen Missionen der letzten Wochen - Lebensende, Nachlasszensur, Shoppingausflug, Krimirecherche - war ihr im Moment nur noch eines wichtig: den Eindruck, den Lutz nach dem gründlich verpatzten Abend von ihr gewonnen haben musste, wieder geradezurücken. So änderten sich manchmal die Prioritäten. UNTERSTREICHEN. Um den Rest konnte sie sich danach immer noch kümmern.
Welche Erklärung konnte sie ihm liefern, um ihr Gesicht zu wahren, die ganze Aktion nicht zu gefährden und seine Sympathie nicht zu verlieren? Dass sie ihre eigene Geschichte aus Versehen mit einer fremden vermischt haben sollte, glaubte er einer scheinbar erfahrenen Krimi-Autorin nie. Schon gar nicht als Experte auf diesem Gebiet, der er ja wohl war. Seit sie das wusste, gefiel Marie ihre Idee, die Schriftstellerin zu mimen, noch weniger. Dieser Tatbestand hatte die Verabredung versaut - kein Zweifel. Künstlerpech, sozusagen. Und die Angelegenheit Maibach wurde dadurch weiter erschwert.
Was konnte sie ihm denn jetzt noch als eigene Story auftischen? In keinem Fall etwas bereits Vorhandenes; er würde alles, was sie kannte, auch erkennen. Sich selbst etwas auszudenken war unter den neuen Umständen fast noch weniger Erfolg versprechend. Alles, was ihrem
literarisch unkreativen Hirn entspringen konnte, würde den Dozenten sicher nicht beeindrucken. Und sollte ihr doch noch irgendetwas Brauchbares unterkommen oder einfallen, dann hatte sie damit immer noch keine Erklärung parat für ihren peinlichen Plagiatsversuch im Restaurant. Egal, wie sie es drehte und wendete: Marie war ganz gewaltig in der Zwickmühle. UNTERSTREICHEN.
Sie konnte Lutz natürlich (vielleicht unter Tränen?) beichten, dass sie den Roman nur erfunden hatte, um das Seminar besuchen zu können. Dann allerdings musste sie für ihr Interesse an den »Gefahren und Chancen durch Gift« eine andere Erklärung liefern, und die war wiederum mit der Wahrheit nicht mehr zu bewerkstelligen. Welche Frau war schon, kurz nachdem sie ihr erstes Date seit Jahren gehabt hatte, scharf darauf, dem Mann gleich danach ihre doch recht aktuellen Selbstmordpläne zu präsentieren? Marie jedenfalls nicht. SPEICHERN.
Falls sie die Romanschriftstellerin zu den Akten legte, musste sie sich eine andere Begründung für ihr Interesse an Giften einfallen lassen. Da konnte sie ebenso gut gleich eine neue Rechtfertigung für ihren Fettnapf am Samstag erfinden. Aber welche?
Inzwischen war Marie schon einige Zeit beim Frühstücken, ohne jedoch die geringste Idee zu haben, was sie Lutz zu ihrer Entschuldigung sagen sollte.
Migräne aufgrund des Wetters? Deshalb musste man doch keine Krimi-Idee klauen, fand Marie und schob sich einen Löffel Himbeerjoghurt in den Mund.
Übergroßer Druck aufgrund der Verlags-Deadline? Ein weiterer Löffel. VERWERFEN. Das wirkte so, als würde sie ihrem Lektor bei Schreibblockaden regelmäßig fremde Geschichten unterjubeln. Durchaus kein Ruhmesblatt.
Außerdem würde sie damit nur auch noch einen nicht existierenden Verlag ins Spiel bringen, der ein Ausgangspunkt für weitere Erklärungsnot sein konnte. Marie dachte an Alma und die Kasimir-Problematik und schloss beim letzten Löffel Joghurt genervt die Augen. Dabei fiel ihr siedendheiß ein, dass sie ihrem Haustier heute noch kein Futter gegeben hatte, was dieses seit einiger Zeit auch schon lautstark kundzutun versuchte. Doch Marie war so sehr in Gedanken gewesen, dass sie es einfach nicht bemerkt hatte.
Der unhaltbare Zustand für den Kater wurde sofort behoben, und Marie kehrte zu ihrem Frühstück und ihren quälenden Gedanken zurück.
Wie wäre es denn zum Beispiel, wenn sie Lutz sagte, sie könne ihm die tatsächliche Geschichte aus
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