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"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

Titel: "Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Frommert , Jens Clasen
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unserem Leben, in dem von Gabi und mir. Klaudia und ich hatten uns knapp vier Wochen zuvor kennengelernt. Das neue Jahr war da gerade einmal sechs Tage alt. Noch ehe ich ein Wort mit ihr gewechselt hatte, spürte ich, dass sie mich im Visier hatte. Noch heute erinnere ich mich an das Gefühl, dass Blicke mehr berühren können als eine Hand, die nach einer anderen greift. Ich fühlte mich wahrgenommen, beachtet, respektiert, ich fühlte mich wohl. Und das inmitten dieses neonröhrenlichtbestrahlten, schmucklosen Raums, der einen gewissen Jugendherbergs-Charme nicht leugnen konnte. Ich hatte es auf jemandes Radar geschafft. Es war mir egal, was es war: mein Aussehen, mein Auftreten, meine Worte, meine Art …? Klar war: Klaudia interessierte sich für mich, und während der nächsten Wochen trafen wir uns häufig. Wir gingen oft spazieren. Und wir gingen weit.
    Es gibt keine Zufälle: Klaudia wohnte in einem bekannten Stadtteil in Frankfurt am Main. Gabi und ich wohnten zu dieser Zeit ganz in der Nähe. Der Rest war ein Kinderspiel. Und meine anfängliche Geheimnistuerei eine Beleidigung von Gabis Intellekt. Ich tischte ihr Albernheiten auf, musste ganz plötzlich noch mal zur Arbeit, in die Waschanlage oder zu einem Termin. Ich war mir kein bisschen peinlich. Und das ist aus heutiger Sicht das Peinlichste.
    Hätte Gabi gewusst, dass ich ahnte, dass sie mich längst und oft betrogen hatte oder ich mich von ihr zumindest betrogen fühlte, sie hätte sagen können: Okay, der Geschlagene schlägt zurück. Stattdessen überschlugen sich die Ereignisse. Schreie, Tränen, Trennung, Zweifel, Angst, Neustart, Ende der Liaison mit Klaudia, Auszug, Wieder-Einzug. Bis zum nächsten Mal.
    Ich genoss es jedenfalls einige Monate lang, beachtet und geschätzt zu werden. Es streichelte das Ego, gemocht und für attraktiv befunden zu werden. Es war ein gutes Gefühl. Im Nachhinein muss ich sagen: Das war die zweite Erfahrung mit dem Nicht-dick-Sein, die mich weiter hinabstieß in den Strudel der Magerspirale. Die Kehrseite der Glücksformel.
    Ich erfuhr am eigenen Leib, dass ich über meinen Körper, über mein Gewicht Vorgänge in meinem Leben steuern konnte. Was ich bislang nur mit Worten vermocht hatte, konnte ich nun mit Körperformen: manipulieren. Dinge, die mir über die Maßen wichtig waren: Anerkennung, Zuneigung, Nähe. Die irrwitzige Schlank-gleich-attraktiv-Formel, die ich mir zurechtgebastelt hatte, war im Begriff, zu meinem Lebensprinzip zu werden.

Arbeitsessen
    Abnehmen als Glücksformel
    Auch in anderer Hinsicht zeichnete sich ein geradezu weltbewegender Wechsel ab – jedenfalls was die heile Frommert-Welt betraf. Ich erkannte nach etwa drei Jahren an der Uni Heidelberg dann doch, dass das von meinen Eltern, sprich meiner Mutter, ausgewählte Jura-Studium nicht das Richtige für mich war. Es war sogar grundfalsch. Alsbald erkannte ich, dass Jura leider weit mehr ist als spannendes Strafrecht als Vorspeise und interessante Einblicke ins Bürgerliche Gesetzbuch als ersten Hauptgang. Was danach kam, schmeckte mir gar nicht. Es passte nicht zu mir, meinen Fähigkeiten, meinen Wünschen und Träumen, meiner Vorstellung davon, wer und was ich einmal sein wollte. Es passte nur zu den Wünschen und Träumen meiner Eltern. Meine Mutter und mein Vater haben mir vieles ermöglicht – sie hatten aber auch stets ganz klare Vorstellungen davon, wie ich diese Möglichkeiten nutzen sollte und worin sie münden sollten. Das Umfeld tat sein Übriges. Heidelberg mag pittoreskes Pflichtprogramm von Touristenhorden auf ihrer Entdecke-Europa-in-drei-Tagen-Tournee sein. Für mich war es keine 50-Kilometer-Fahrt mehr wert. Zwar verließ ich morgens das Haus. Dann aber studierte ich nicht, sondern schlug die Zeit tot, nicht selten im Wohnzimmer meiner Schulzeit: in der »Café Bar Jardin« in Bensheim. Und so erging im Namen des Christian folgendes Urteil: Uni wechseln, Fachrichtung ändern, ein paar Semester auf Bewährung.
    Im Sommer 1990 begann ich mein Studium der Germanistik und Politologie in Mannheim. Vor meinen Eltern hielt ich diese Entscheidung noch länger als ein Jahr geheim. Klingt nicht so nach heiler Welt? Richtig – aber aus ihrer Perspektive wäre vor allem ich der Störenfried gewesen. Wer in einer eher konservativ geprägten, von christlich-demokratischer Hand geführten Kleinstadt aufwächst mit all ihren Herzlich-, Nichtig- und Scheinheiligkeiten, dort wo die Menschen meist einfach waren und die Moral oft doppelt, wird

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