"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)
nicht. Wir beichteten uns unsere Verfehlungen nie. Ein Selbstbetrug.
Aber es hatte auch sein Gutes: Wir hatten einander. Wir wollten nicht wieder suchen, weil wir nicht wussten, was und wen wir finden würden. Lieber die kleinere Liebe als gar keine, als die falsche, als die ungewisse. Wir steckten unter einer Sicherheitsdecke.
Es ist unsagbar schwierig zu beschreiben, was uns letztlich siebzehn Jahre (!) ausharren, festhalten ließ an einer Beziehung, die rückblickend doch nie eine Chance hatte. Wir hatten uns verbissen in eine Vorstellung von Zweisamkeit, Zusammenleben und Zukunft. Es war die Zweckgemeinschaft zweier Menschen, von denen einer Vertrauen suchte, Liebe, Verständnis, Wärme. Oder schlicht jemanden, der ihm nah war. Die andere suchte nicht wirklich etwas, sondern fand. Jemanden, der da war, der Probleme löste, der Blitzableiter, Abhol- und Bringdienst war. Einer, der funktionierte, der in der Opferrolle aufging.
Doch natürlich war ich auch Mittäter, weil ich das alles zuließ. Mich nie erklärte. Weil ich leiden wollte. Und ich litt oft, weil Gabi es verstand, mich zu quälen. Mein wundester Punkt: der ständige Wunsch, sie durch Geschenke zu kontrollieren, ihr in perfekter Planung Gefühle einzuhauchen: Überraschung, Freude, Dankbarkeit. Ich ging darin auf zu überraschen. Ich dachte mir Abläufe aus, Reaktionen, führte Regie in immer neuen Filmen meines Kopfkinos. Ich liebte es, Geschenke zu machen, ich lechzte danach, etwas zurückzubekommen. Aber je mehr ich gab, desto tiefer empfand ich ihre Demütigungen und die Enttäuschungen, desto mickriger und unbedeutender erschien mir mein Lohn. Gabi wusste, wie wichtig mir diese Dinge waren – aber sie ließ sie nicht zu. In schöner Regelmäßigkeit und mit Leichtigkeit zerschoss sie meine Pläne, ließ meine dicksten Drehbücher platzen. Wie damals, als Randy Crawford in der Alten Oper in Frankfurt spielte, am Abend ihres Geburtstags. Monate vorher schon hatte ich alles arrangiert, Tickets besorgt, den Abend geplant. Im Kopf ging ich diesen Tag immer wieder durch. Immer mehr Details kamen mir in den Sinn. Und dann war es so weit. Ich steckte die Karten ein und fragte sie beiläufig, ob sie denn Lust habe auf einen Spaziergang. Ich sagte so etwas wie: »Wir können doch nicht den ganzen schönen Tag hier drinnen hocken.« Sie hatte keine Lust. Sie sah es überhaupt nicht ein, auch nur ein bisschen Lust zu haben. Sie wusste, dass ich etwas im Schilde führte. Die Uhr tickte gegen mich und meine Überraschung. Also musste ich das Ziel des Spaziergangs preisgeben. Peng! Wieder einmal floppte meine Inszenierung. Am nächsten Tag machte ich mich daran, die für das nächste Jahr vorzubereiten.
Es waren sicherlich zu einem großen Teil diese kleinen Gemeinheiten, dieses konsequente Verweigern gegenüber meinen Glücksprojekten, die mich zu Gabi innerlich auf Distanz gehen ließen. Nicht nach außen hin. Oh nein. Es blieb zusammen, was zusammengehörte. Aber ich schaute mich jetzt mehr um. Dazu trug noch ein anderer Aspekt bei. Nach meinem rapiden Gewichtsverlust machte ich eine einschneidende Erfahrung: Ich war plötzlich für viele Frauen nicht mehr nur der nette Dicke. Ich wurde auch als Mann interessant. Ich kann das schwer beschreiben, es war diese Zwischen-den-Zeilen-Kommunikation, das Nonverbale, das gefühlte Wort. Es war die Art, wie sie mich ansahen – im Unterschied dazu, wie sie zuvor noch wegsahen, als ich dick war. Ich sprang darauf an, es elektrisierte mich, dieses mir völlig unbekannte Gefühl des Attraktiv-Seins. Ich fasste es für mich in eine Art Gleichung:
Schlank + geistige Leistungsfähigkeit =
attraktiv + anziehend + begehrenswert
Ich suchte schnell nach Anwendungsgebieten für meine Formel, probierte mich aus als attraktiven Mann. Ich schäkerte, flirtete, ich ging sogar fremd. Es funkte, es zündete, es brannte im Bett. Ich fühlte mich gut und verhielt mich mies. Ich gab mir auch nicht sonderlich viel Mühe, Gabi zu verheimlichen, dass da was war. Was da war, wusste sie nicht. Sie ahnte es nur.
Es wurde ihr Gewissheit, als sie die andere zum ersten Mal sah, auf der Feier zu meinem 30. Geburtstag. Gefeiert am Bornheimer Hang, der Fußball-Heimstatt des FSV Frankfurt. Das fein hergerichtete Zimmerchen im Tribünenbauch wurde zu meinem ganz persönlichen VIP -Raum: Very Important Party. Dieser Abend veränderte vieles, wenn nicht alles. Die Tür ging auf, und Klaudia trat ein. Mit einem einzigen Schritt stand sie in
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