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"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

Titel: "Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Frommert , Jens Clasen
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hochstiefeln. Oben in der Tür wartete dann schon die Therapeutin, bis ich sie bat, nicht mehr auf mich zu warten, weil es mich wahnsinnig machte, in Empfang genommen und »abgeholt« zu werden. Ich wusste sehr wohl um meine Langsamkeit, und sie war mir schlicht und ergreifend: peinlich.
    Ich war froh, überhaupt jemanden gefunden zu haben. Die meisten Therapeuten wollten mir erst gar keinen Termin geben. Magersucht, 43 Jahre, Mann, Kommunikationsberater. Nein danke. Ausgebucht. Einer hat sich sogar auf ein Gespräch eingelassen. Brachte gleich Verstärkung in Form einer Praktikantin mit in die erste Annäherung und eine Art Schriftführerin. Das Tribunal saß mir gegenüber. Das Trio verschanzte seine Gedanken hinter gerunzelten Stirnen, nachdenklichen Mienen und kanalisierte die gemeinsame Zukunft in viele Frage-, Anmelde- und sonstige alberne Bögen, die nur eines sollten: abwimmeln. Don’t call us! We call you! Ich habe nie wieder etwas von dem Mann gehört.
    Meine erste Therapie war eine erste Hilfe, eine Erfahrung und immerhin eine, die mich die Notwendigkeit erahnen ließ, eine Klinik aufzusuchen sei nicht die dümmste aller Ideen. Und so wurde mein Sprung an den Chiemsee sozusagen einer mit einem sechs Monate langen, therapeutisch begleiteten Anlauf.
    Danach war aber auch Schluss. Es brachte einfach nichts mehr. Was wir uns zu sagen hatten, hatten wir uns gesagt. Wir drehten uns im Kreis und später gemütliche Plauderrunden. Wir saßen da wie zwei gute Freunde und schwadronierten über Immobilien, Urlaube und so weiter. Mein Vorstoß »Ich denke, wir sollten mal eine Pause machen« stieß auf offene Ohren. Und wir beide wussten: Es wird eine Pause auf ewig.
    Ich war mit Anna wieder allein. Sie umarmte mich knöchern und hielt mich mit geflüsterten Komplimenten für meine dünne Statur und gezischten Warnungen vor der Kalorienlast der Welt vom Kühlschrank fern. Ab und zu entwand ich mich ihrer Umklammerung und fasste ein paar klare Gedanken. Dann saß ich da auf einem Stuhl in meiner Wohnung, die einmal Gabis und meine Wohnung gewesen war, bis wir uns endlich getrennt hatten, und versuchte mich anzufreunden mit dem Alleinsein, horchte hinein in die Leere und die Stille.
    Und eines Abends fiel mir plötzlich auf: Leer war es da eigentlich gar nicht. Im Gegenteil. Es war entsetzlich voll.
    Die Bude war vollgestopft mit Krempel. Zeug, das ich nicht brauchte. Und das ich doch gekauft hatte aus dem dringenden Bedürfnis heraus, es zu besitzen. Und jetzt stand und lag und hing es herum, überall. Meine Wohnung war ein Museum des Konsums, ein Gedenktempel der Shopping-Sekte. Ich hatte in den letzten Jahren wie ein Besessener gekauft – und saß nun inmitten meiner Discount-Designer-Webshop-Beutesammlung, fühlte mich jedoch noch verlorener als je zuvor. Ich war ein verhungernder Schiffbrüchiger, der nach einer Havarie in einem Meer aus teurem Plunder und Müll umherdümpelte. Plunder und Müll in oftmals doppelter Ausfertigung.
    Ich beruhigte mich wieder, dachte schließlich mit besonnenem Kopf über die Sache nach und fand es letztlich logisch und gar nicht so kompliziert.
    Wer nichts isst, wird nicht satt. Wer hungert, leidet Mangel. Wer nicht satt wird und Mangel leidet, sucht nach Ausgleich für den Mangel. Das Hungern schadet schließlich auch dem Geist, der Seele. Die leidet und hungert mit. Glauben Sie mir: Ich habe gelernt, dass Sattsein nicht nur das Gefühl eines vollen Magens ist – und Hunger nicht nur das eines leeren.
    Wer nun wie ich systematisch und aus einer Art Lifestyle heraus hungert, wer also jederzeit essen könnte, aber einfach nicht will oder sich aus verschiedenen Gründen nicht dazu überwinden kann, der kann sich auf das Mangelgefühl der Seele nicht einlassen, sonst würde er wahnsinnig. Denn auf die schlüssige Frage »Warum lässt du mich leiden, warum isst du nicht einfach?!« kann er keine Antwort geben.
    Also musste ich den Mangel der Seele anders kompensieren. Essen ist letztlich die ursprünglichste Form von Konsum. Mittlerweile gibt es da doch ganz andere Möglichkeiten. Also konsumierte ich anders. Ich belohnte mich. Für was? Dass ich so tapfer war, dies alles zu erleiden. Und wieder hatte Anna höchstpersönlich mir Absolution erteilt. Du darfst! Etwa indem ich Kochbücher kaufte. Und nicht nur ein paar.
    Ich lüge wahrscheinlich nicht, wenn ich sage: Nur Amazon hat mehr Kochbücher im Angebot als ich. Jamie Oliver, Tim Mälzer, Johann Lafer, Alfons Schuhbeck, Steffen

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