"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)
Henssler, Lea Linster, Alexander Herrmann ….
Ich habe sie alle, das Lebenswerk jedes noch so unbekannten TV -Kochs und derer, die es im Begriff sind zu werden, findet sich in meiner Bibliothek. Meter um Meter reihen sie sich aneinander, es sind mittlerweile mehr als 300 Stück, ganz zu schweigen von den Kochsendungen auf DVD und den Zeitschriften der Sparte »Essen und Trinken«. Und den Sendungen, die ich live bis spät in die Nacht hinein verfolgt habe. Ich könnte aus meinem Fundus an Rezepten zehn Jahre lang jeden Tag ein anderes Essen kochen, ach was: Drei-Gänge-Menüs, mindestens – morgens, mittags und abends.
Das Problem ist nur: Ich koche nicht. Nicht mehr. Also, jedenfalls keine von diesen kaloriengranatigen Monsterspeisen in diesen Büchern und Fernsehsendungen. Ich bin doch nicht verrückt. Ich war es einmal. Habe mit Inbrunst und voller Herz und Leidenschaft Freunde bekocht. Mein besonderer Stolz: ein Acht-Gänge-Menü für zwölf Personen. Ganz alleine zubereitet über Tage. Mit pikanten Vorspeisen, selbstgebackenem Brot, gebratenem Fisch und Sorbets. Angerichtet auf zig Tellern, für jeden Gang das passende Besteck, das rechte Glas für jeden Tropfen. Feinstes Tuch, Platzteller – das ganze Repertoire eben. Das Auge isst mit. Ich aß schon damals nicht. Ich lutschte an einer Papaya. Als Kind wollte ich Koch werden. Befeuert durch unseren täglichen Max Inzinger, der kochte in der Drehscheibe. Diese Sendung im Zweiten, Vorabendprogramm.
Was ich sagen will, ist: Die Zeiten, in denen ich Freunde an einem Tisch versammelte und ihnen viele Gängen servierte – damals schon eher für andere als für mich kochend –, sind schon lange vorbei. Und wenn ich für mich kochte, dann allenfalls mal 100 Gramm ungewürzten Brokkoli, fettfrei gedünstet. Aber aus Bequemlichkeit landete er auch gerne mal roh auf dem Teller.
Die Kochfibeln sollten mir nur ein Gefühl davon geben, dass ich kochen könnte, wenn ich denn wollte, jederzeit – und sie ließen mich teilhaben am Lifestyle-Wahn der Kochsüchtigen, ohne dass ich deren Fresswahn fröhnen musste.
Papier ist geduldig – und hat keine Kalorien. Vor allem dann, wenn man es nur anschaut.
Das ist im Übrigen gar nicht so untypisch für Magersüchtige. Wie gesagt: Wir befassen uns sehr viel mit dem Thema Essen, eigentlich rund um die Uhr: Denn immer muss man ihm irgendwie entkommen, körperlich, geistig, und immer muss man zusehen, dass man sich irgendetwas einverleibt, das dem Gaumen schmeichelt und ihn glauben macht, da ist was, das sättigt. Also: Magerquark. Diese sämige Konsistenz, kühl, stopfend, voll von Gehaltlosigkeit. Alles drin, was Christian braucht.
Wir lesen Kochbücher, verschenken Feinkost und verwöhnen andere mit erlesenen Speisen, und wir bunkern massenweise Nahrungsmittel. Meine Speisekammer ist stets zum Bersten gefüllt, und immer kaufe ich neue Lebensmittel nach. Es könnte ja etwas fehlen, ich könnte ja für jenen dies und für jemand anderen das benötigen. Oder alle Supermärkte könnten von Al Qaida in die Luft gejagt werden, so dass ich nicht mehr an meinen Magerquark käme …
Werfen Sie doch mal einen Blick auf meinen Vorrat: Da haben wir derzeit etwa 60 Gläser Konfitüren, Marmeladen und anderen Fruchtaufstrich in verschiedenen Sorten, diverse Gläser Crème Royale (nein, das ist keine Augenpflege, sondern ein Diät-Aufstrich mit Fruktose, so eine Art Diabetiker-Honig), ein ganzes Regalbrett voller Diät-Süße zum Streuen, 10 Liter entrahmte Milch (höchstens 0,3 Prozent Fett), etwa 30 Gläser und Konservendosen Gemüse, ein paar Kilo Espresso, Würzpasten, scharfe Gewürze, Wasabi, Senf und mehr. Im Kühlschrank dann die beeindruckende Palette von vier 1-Liter-Eimern Magerjoghurt Natur, 15 150-Gramm-Bechern 0,1-prozentigem Fruchtjoghurt in verschiedenen Geschmacksrichtungen, und natürlich mindestens zehn 500-Gramm-Becher Quark-Crème Natur mit 0,2 Prozent Fett. Und das sind nur die Milchprodukte. In der Kühltruhe lagern säckeweise Obst, Himbeeren zumeist, und Gemüse. Man weiß ja nie … Und natürlich hektoliterweise Getränke. Die gesamte Palette von Zero- und Light-Getränken, und selbst Wasser mit Ohne: Kohlensäure. Sicher ist sicher.
Belassen wir es dabei, ich denke, der Eindruck ist eindeutig. Mit einem Wort: Überbevorratung. Ich schmeiße auch immer wieder gern Sachen weg, deren Haltbarkeitsuhr nur um Stunden abgelaufen ist. Sie glauben ja gar nicht, wie gerne ich Essen wegwerfe. Nichts ist so
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