Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

Titel: "Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Frommert , Jens Clasen
Vom Netzwerk:
meist mit einem großen Fragezeichen auf der Stirn. »Aber wieso denn XL ?! S würde
genügen, nehmen Sie halt M, das trägt man körperbetont.« Alles wollte ich betonen, nur nicht meinen Körper. Er sollte verschwinden. Und außerdem, wenn ich mal älter bin, nehme ich ja wieder zu. »Darf ich zahlen?« Eingepackt, nach Hause geschleppt und ab damit in den Schrank. Was nicht auf dem Bügel hängt, steckt in einer der vielen unausgepackten Tüten. Die Klamotten darin stammen aus unterschiedlichsten Stadien meiner Krankheit. Einige will ich gar nicht mehr anprobieren aus Angst, sie könnten mir womöglich passen. Schließlich war ich damals ja noch viel zu dick.
    Nur damit die Dimension ganz klar wird: Wenn ich in der Garage einen eigenen kleinen Privat-Trödelmarkt organisieren würde, nur um meine Kleidungsbestände etwas zu reduzieren, bekäme ich wahrscheinlich eine Abmahnung der HUGO BOSS AG , weil es so aussähe, als wollte ich hier, ganz auf die feine chinesische Art, einen falschen Markenshop betreiben. Nur dass die fabrikneue Ware bei mir wirklich von BOSS ist.
    Trotz dieser Berge von Klamotten habe ich außer meinen Mädchenjeans bald nichts mehr anzuziehen, weil alles viel zu weit ist. Ich besitze nicht nur mittlerweile eine Gürtellochzange, ich benutze sie auch ohne Skrupel.
    Würde mir also jemand sagen, dass mit einer Magersucht automatisch eine Kaufsucht einhergeht – ich würde es ihm (verzeihen Sie den Kalauer) ohne Weiteres abkaufen. Aber es ist ja nicht nur dieses schöne, erquickliche Zeug, das ich wie ein Besessener kaufe. Da ist ja auch noch der ganze Ramsch. Ich sage jetzt nicht: Ich kaufe mehr, als ich schleppen kann – denn das ist ja bekanntermaßen nicht viel. Aber ich kaufe definitiv viel mehr, als ich brauche. Genauer gesagt: Ich kaufe totalen Mist, den ich überhaupt nicht brauche. Oder was will ich mit Heizungsregulierungsthermostaten von Aldi für sensationelle 2,99 Euro das Stück – wenn ich eine Fußbodenheizung habe?! Egal, her damit. Dazu noch LED -Leuchten, Autotaschen, Raclette-Grills. Alles schien im Moment des Kaufs immer so ungemein sinnvoll und brauchbar. Und ich musste mich ja nicht bremsen, ich war alleine, aß nichts, ging nicht aus, fuhr nicht in den Urlaub. Geld, um sich ein wenig zu verwöhnen, war da – Platz auch, aber nicht mehr viel. Mein Wandschrank hatte bisher noch alles gefressen. Nicht auszudenken, er könnte sich an all dem Schrott verschlucken, und es könnte ihm im schlimmsten Fall schlecht werden. Die Welle würde mich aus dem Haus spülen.
    Und wieder kommt mir Goethe in den Sinn: … kann man getrost nach Hause tragen. Und auch wenn es mir schwerfällt: Ich trage einiges nach Hause. Oder meine Nachbarn tun es für mich.
    Inmitten dieser Fülle von Krempel, Kram und Gerümpel der teuersten Art saß ich nun und beschloss wieder einmal, dass sich alles würde ändern müssen. Ich sperrte Anna in eine Kammer in meinem Kopf und beschloss: Es würde jetzt alles anders laufen. Von nun an würde ich mir mal wieder etwas gönnen. Mal wieder etwas Gutes essen. Aber nicht einfach so irgendwann. Es musste schon ein besonderer Tag sein. Silvester vielleicht? Ein Tag, den ich nicht sonderlich schätze. Einer dieser ritualisierten Pflichtfeiertage. Kampfsaufen, Fröhlichsein-Müssen, geheuchelte Wünsche, alberne Vorsätze, peinliche Spielchen. Ich weiß – Kritik an Ritualisiertem von einem, dessen zweiter Vorname mittlerweile »Ritual« ist …
    Anna zischte unter der Tür ihrer Kopfkammer hindurch: Na fein, mach doch, friss dich doch fett! Vollgestopft ins neue Jahr, Prosit!
    Ich ignorierte sie – fast jedenfalls. Etwas nicht ganz so Kalorienreiches müsste es sein. Es muss ja nicht gleich knallen, man muss es ja nicht gleich übertreiben.
    Ach komm, ist doch egal, Dickerchen. Hau dir was rein, Pummel!
    Also bloß kein Fleisch oder Kartoffeln oder Nudeln oder Reis. Hm. Vielleicht etwas vom Asiaten?
    Guten Hunger, Moppelchen!
    Da schoss es mir durch den Kopf: Sushi! Eines meiner Leibgerichte, nicht so kalorienreich, genau richtig. Das Wasser schoss mir schon in den Mund. Ihre Stimme schnitt in meinen Kopf: Sushi, Sushi, fett wie John Belushi!
    Und das war nur der Anfang. Ich habe Ihnen ja nun bereits einiges davon erzählt, was passiert, wenn einer nichts isst. Über das Runterhungern und Abmagern und Auslaugen und das Gerade-so-eben-am-Leben-Halten. Jetzt will ich Ihnen einmal darüber berichten, was geschieht, wenn einer, der sonst nichts isst, dann doch

Weitere Kostenlose Bücher