"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)
dort in Französisch verfasst war. Dann begann er zu übersetzen. Es war eine kurze Zusammenfassung dessen, was die tourveranstaltende Amaury Sport Organisation ( ASO ) aus Spanien zugetragen bekam. Stefan Wagner, neben Eisenga ebenfalls für die Pressearbeit im Team engagiert, Sponsoring-Manager Franz-Stefan Hornung und ich als verantwortlicher Konzern-Kommunikator für die Sponsoring-Engagements des Bonner Mobilfunkers, hörten das, was sie gar nicht hören wollten. Die Rede war von Madrid, Ärzten, Kühlschränken, Razzien und Blut in Beuteln, sehr viel Blut. Somit wurde zur Gewissheit, was seit Wochen nur häppchenweise serviert und wieder auf Eis gelegt worden war.
Angeblich hatten die spanischen Ermittlungsbehörden eine Liste mit 58 (Code-)Namen aufgestellt, gegen die im Zusammenhang mit dem Doping-Skandal um den spanischen Arzt Eufemiano Fuentes und seinen Partner Merino Batres ermittelt wurde. Wir wussten im Grunde bereits, wer alles auf der Liste stehen würde. Es hatte wie gesagt auch deshalb Telefonate gegeben, Konsultationen, Getuschel und Geschrei. Um ehrlich zu sein, waren uns 57 Namen mehr oder weniger egal.
Hinter uns lagen heiße Tage. Gerüchte und Spekulationen warfen nicht nur Schatten auf die Sommersonne, in deren Licht die Republik gerade sich selbst und die Fußball-WM feierte. Während dieser vereinende Geist durch jeden Winkel dieses Landes huschte, saß ich nahezu pausenlos am Telefon in irgendwelchen mithörsicheren Räumen. Im Auto, zu Hause, in den Katakomben deutscher WM -Stadien. Interne Konferenzen, Szenarien, Empfehlungen, Befürchtungen, Beschwichtigungen, Versprechungen, Beteuerungen. Nicht nur ich hatte vorher schon auf Ullrich eingeredet, sich doch zu erklären. Unzählige Telefonate mit denselben Fragen: War da was? Stimmten diese Vorwürfe? Das Bestehen des Teams stand immerhin auf dem Spiel. »Jan, da sind so viele Menschen, die sich für deinen Erfolg den Arsch aufreißen. Menschen, die du noch nicht mal kennst. Sie haben Familie, Kinder, denen bist du auch was schuldig.« Er wusste das. Er schwieg. Ich denke, es hätte damals eine realistische Chance bestanden, das alles in andere Bahnen zu lenken. Reden, Verstehen, Polieren. Kommunikation ist nicht alles, heißt es, aber ohne Kommunikation ist alles nichts.
Ich bekam Nebelkerzen in die Hand gedrückt und warf sie auch gleich wieder in die Öffentlichkeit. Ich war neu und naiv genug daran zu glauben, was mir die Beschuldigten sagten. Ich stellte ihnen, wie ich glaubte, messerscharfe, investigative, tiefmoralische Fragen und war erleichtert ob ihrer Unschuldsbekundungen. Ich wollte sie hören, ich wollte sie glauben, weil nicht richtig sein kann, was doch einfach nicht wahr sein darf.
Und nun schrie uns dieses Fax ins Gesicht: »Ihr Narren! Wie doof seid ihr eigentlich? Für wie dumm lasst ihr euch verkaufen?« Diese paar dürren Worte nahmen uns die Hoffnung, dass es schon irgendwie wieder gut werden würde. Unsere Frage: »Was sollen wir machen?« Die Antwort der ASO : »Eure Entscheidung!«
Luft! Erst mal raus aus dem Verschlag. Die Fassungslosigkeit musste ab- und die Funktionsfähigkeit wieder hergestellt werden. Das klappte am besten draußen, inmitten des Open-Air-Wartesaals. Längst kam dieses Szenario aber auch den Journalisten spanisch vor. Ein Team, das nicht kam, und das fünf Minuten vor Beginn der Pressekonferenz. Und dann standen da ja noch diese vier Männchen im kleinen Kreis, hielten die Köpfe gesenkt, stemmten die Hände in die Hüften oder hielten sie wahlweise vor die verkniffenen Münder, Lippen knetend. »Die müssen weg, ruft an!« Ich musste aufpassen, dass der Bus nicht ins Visier der Kameras geriet. Bilder von einem mit Telekom-Logos beklebten Bus, der langsam auf dieser langen Allee entlangfährt, wendet und wieder abrauscht, mussten in jedem Fall verhindert werden. Zum Glück erreichten wir Bert, den Fahrer.
Alle waren wir extrem angespannt. Und alle schauten auf mich. Entscheidungen zu treffen ist das eine, sie dauerhaft, glaubwürdig und so wenig imageschädigend wie möglich zu kommunizieren eine andere. »Was sagst du?« Die Frage war genau so doppeldeutig gemeint, wie sie klingt. Wir durften nicht zulassen, dass andere über uns entschieden. Wir mussten es verhindern, dass ein Jan Ullrich womöglich vor laufenden Fernsehkameras vom Rad geholt würde. Allen war klar, egal was wir hier nun beschließen würden, uns stand Übles bevor. Ich schaute mich um, bat darum, die Banner
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