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"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

Titel: "Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Frommert , Jens Clasen
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beschließt, etwas zu essen. Wenn ich tatsächlich einmal mehr esse als den üblichen Magerjoghurt-Mist. Mancher mag ja glauben, alle meine Probleme wären gelöst, wenn ich einfach nur mal wieder etwas esse.
    Und auch Sie denken sicherlich: Ist doch kein Weltuntergang, wenn er mal einen Happen zu sich nimmt. Da gebe ich Ihnen sogar recht. Ein Weltuntergang wäre das nicht. Denn beim Weltuntergang nimmt man in der Regel nicht mehr zu. Zumindest ist es angesichts des bevorstehenden Armageddon dann auch egal.
    Insofern habe ich auch vor dem Weltuntergang keine Angst.
    Vor in Alge gerolltem Fisch schon. Dennoch habe ich das Sushi gekauft. Mehr mit Gemüse als mit Fisch.
    Gegessen habe ich auch … Jedenfalls einen Teil der gemischten Maki-Nigiri-Platte. Um genau zu sein: einen verschwindend geringen Teil.Denn kaum hatte ich mich damit gegen 18 Uhr hingesetzt, kaum hatte ich sie ausgepackt, kaum hatte ich auch nur daran gedacht, sie auszupacken – sagte meine Freundin Anna leise: Guten Appetit, Fetti!
    Und sofort löste es in mir Alarm aus. Ich wartete zunächst noch ab. Bedenkzeit für die Henkersmahlzeit. Ich stieg auf den Stuhl, zückte mein Handy und fotografierte diese unglaubliche Tischdekoration. Das würde mir ja sonst niemand glauben, wie sehr ich über die Stränge schlug. Anschließend ging ich ins Wasser.
    Ich badete nie bis selten, ich bin eher der Duschtyp. Früher gerne kalt, nun wäre mich Warmduscher zu nennen eher ein Lob. Ich lag also in der Wanne, hörte traurige Musik in melancholisch anmutendem Ambiente. Kerzenschein und keinen Schimmer davon, wie es weitergeht.
    Ich aß also, ich kaute, nagte, nippte. Zwei Stück, drei. Fertig, das muss genügen. Nur keine Maßlosigkeit … Der Rest wanderte in den Kühlschrank, auf dass die Bakterien ihren Dienst verrichten und ich wieder sagen konnte: »Ui, ungenießbar geworden. So ein Pech aber auch …«
    Der Silvesterabend war jung, die Gedanken die alten: Wie viele Kalorien sind das jetzt? Wie viel habe ich davon gegessen? Wie lange muss ich morgen aufs Fahrrad? Oder jetzt noch mal schnell? Und danach nichts mehr essen?
    Das Gefühl meines Kontrollverlustes muss in etwa vergleichbar sein mit dem eines Fahrgastes der Titanic, der beim Aufprall auf den Eisberg gerade auf dem Klo saß.
    Bei mir war es kein Eisberg, den ich gerammt hatte, es war eine Flutwelle der Angst, die über mich hinwegschwappte. Angst, so diffus, dass es schwerfällt, Nuancen herauszupicken und zu benennen. Am besten funktioniert das noch, indem Sie sich schreiende Stimmen vorstellen: » DU WIRST WIEDER FETT! FRISS NUR SO WEITER, DICKSACK! BALD PASSEN DIR WIEDER DEINE ALTEN KLAMOTTEN! HABEN DIE LEUTE ENDLICH MAL EINEN ANDEREN GRUND, SICH AUF DER STRASSE NACH DIR UMZUDREHEN, SCHWEINEBACKE !«
    Diese Ängste schnürten mir dann buchstäblich den Hals zu, so dass ich keinen Bissen mehr hinunterbekam.
    So ist es jedes Mal, wenn ich »einfach mal wieder etwas esse«.
    Durch »neue« Nahrung auf dem Speiseplan bin ich immer so verunsichert, dass ich danach anderes entweder gestrichen oder eingeschränkt habe. Einsparen für das, von dem man nicht weiß, ob es je kommt.
    An dem Sushi-Tag hatte ich sicherlich in 24 Stunden nur 200 bis 400 Kalorien zu mir genommen – das war am Ende sogar weniger, als ich mir sonst erlaube. Irgendwie bildet, wenn ich die Kalorien nachrechne, ansonsten eine Zahl unter tausend die absolute Grenze pro Tag. Naja, um ehrlich zu sein, eher 900, na ja vielleicht doch eher 800. Sicherheitshalber. Das ist schon zu wenig. Aber 400? Davon wird kein Hamster satt.
    Die Nacht war dann entsprechend miserabel. Wie so viele davor, wie so viele danach. Vielleicht war es das Sushi, versuchte ich mir noch einzureden, das böse, verdorbene, kalorienträchtige Mörder-Sushi. Es musste das Fleisch von Walen gewesen sein. Aber wahrscheinlich war es eher das Nicht-Essen des Sushi. Der Körper war nun auch noch seiner gewohnten Mini-Mangelration beraubt.
    Die Folge: Dauerlauf.
    Kaum lag ich im Bett, musste ich auch wieder raus. Und das wiederholte sich fast alle zwanzig Minuten. Die Toilette lag um die Ecke, wie praktisch. Die Bewegung: aufstehen, gehen, setzen, aufstehen, gehen, hinlegen war in etwa so wie einatmen, ausatmen. Der Körper kann ohne Fettzufuhr das Eiweiß nicht binden, das ich im Verhältnis zu allem anderen ja in Massen zu mir nehme, also jagt er es durch die Blase hinaus aus meinem Körper. Der weiße Strahl.
    In Folge der Dauer-Toiletten-Orgie schlafe ich seit Jahren

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