"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)
noch auf diese lästige Pflicht konzentrieren und ihr damit eine Wichtigkeit verleihen, die sie nicht verdient hat. Und so entstand schleichend wieder Rituelles. Meine K&K-Festspiele. Küche und Krimi, jeden Tag.
Sie erinnern sich an den Zeitpunkt der ersten Nahrungsaufnahme? Richtig, früher Nachmittag, genauer: 14.15 Uhr. Küchenschlacht-Time. Lafer, Schuhbeck, Lichter, Herrmann hatten ihr Urteil gefällt, und schon wurde unter der Moderation von Steffen Henssler nach Topfgeld gejagt. Ich ließ mir nur von den Besten, den Stars am Herd, vorkochen, garantiert keim-, geruchs- und kalorienfrei. Ich habe sie verschlungen, die Kochsendungen. Nur Mälzer und Lichter verschmähte ich wegen erwiesener Üppigkeit.
Erteilt hatte ich mir auch strikte Rezeptpflicht. All das hinter dieser Mattscheibe Zubereitete war im Netz unter Angaben von Kilo und Gramm herunterzuladen. Und so sammelte ich Megabyte um Megabyte an Rezepten. Es war gerade so, als hätte ich nach der Aufforderung »Speichern unter« das Gericht auch in mich aufgenommen. Das schmeckte mir. Theoretische Nahrung nur. Sicher verstaut und setzt nicht an. Mmmh, gut war’s. Und wer weiß, irgendwann würde ich es ja vielleicht selbst mal kochen. In einem andern Leben. Das aber begann immer erst morgen. Heute war hier die schmale Anna Küchenmeisterin.
Die Zwischenmahlzeit bestand aus Arbeit und eventuell noch einmal einem Abstecher in eines der örtlichen Fachgeschäfte: Blumen, Post, Bücherei. Gerade so lange, bis Ermittler aus München, Köln, Wien oder Kitzbühel das Abendmahl einleiteten. Die Woche hatte ihre klare Struktur, wurde eingeteilt in WISO , die Cops aus Rosenheim, die Küstenwache. Ich konnte sie mitsprechen, die Werbung für Salben, Pasten, Pillen und Treppenlifte vor den heute -Nachrichten. Im Auge hatte ich all das nie. Hören statt sehen. Denn mein Kopf lehnte in der Küche am Hängeschrank, der Blick war stur und hochkonzentriert auf das gerichtet, was die Hände anrichteten: Gemüse, hauptsächlich Gemüse. Schälen, abschneiden, wegschneiden, kleinschneiden. Erst nachdem das erledigt war, kam ich ein wenig zur Ruhe, schaute auch mal ins Programm rein, das ich da eingeschaltet hatte. Ich zog Seichtes der schweren Kost vor. Natürlich.
Manchmal riss ich aus. Es war wie eine Mutprobe. Immer wieder sonntags. Meine Freundin Steffi hatte angeregt, unser eigenes Süppchen zu kochen. Tatort Küche Hofheim. Steffi wusste mittlerweile genau, wie es sein durfte, Braten ohne Fett, kein Zucker, keine Kartoffeln, keine, keine, keine. Erstaunlicherweise ist immer etwas dabei herausgekommen. So etwas wie ein Hirsetopf zum Beispiel. Ich aß drei, vier Fingerhüte voll und blieb danach verwirrt, verirrt im Ernährungsland zurück. War das zu viel, zu wenig? Ist Hirse zu massig? Geht noch ein bisschen Obst?
Die Folge ist, dass ich tendenziell immer eher zu wenig esse und aus Unsicherheit mich vorsichtshalber mal lieber ein bisschen mehr bewege.
Natürlich weiß ich, dass ich gar keinen Sport mehr machen sollte. Aber ich will eben auch nicht von Freunden hören: Na und, dann wirst du eben wieder dick, das macht doch nichts, wir mögen dich auch so. Das hilft mir nicht.
Im Kopf toben die Kämpfe. Immer intensiver. Die Fragen »Warum, wofür, was soll das?« werden immer lauter. Sie hämmern und hämmern, aber noch haben sie den Nagel nicht ausreichend auf den Kopf getroffen, die Schläge gehen daneben. Aber nur noch knapp.
Es wird besser, ich bin fast sicher. Aber manchmal wird es auch schlimmer. Da hakt etwas aus im Kopf. Ich habe da zum Beispiel diesen Traum. Einen Tagtraum, wohlgemerkt. Denn nachts träume ich nicht vom Essen, zum Glück. Keine Alpträume von Völlereien, aus denen ich schweißgebadet aufwachen würde, Halleluja!
Und doch habe ich einen kulinarischen Traum.
Ich weiß, es klingt pervers. Es ist das Gegenteil eines vernünftigen Ernährungsansatzes, es ist letztlich der Alptraum jedes Ernährungsberaters. Aber ich sage es trotzdem: Ich würde gerne einfach einmal zu McDonald’s gehen können, und mich einmal komplett durchs ganze Sortiment fressen. BigMac, Pommes, Hamburger, Cheeseburger, Pommes, McRib, Pommes … Und so weiter.
Eine Zeitlang habe ich genau das gemacht, in der Zeit meiner Gewichtsachterbahn, als ich nach dem ersten großen Abnehmen eine Weile wie ein Kilo-Jo-Jo auf und ab fraß und hungerte. Da habe ich in der Woche quasi nichts anderes zu mir genommen als Wasser – und dafür dann am Wochenende gevöllt. Morgens bis
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