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"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

Titel: "Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Frommert , Jens Clasen
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nachmittags Brunch mit vielen Brötchen und Croissants, dann nahtlos zu Mäckes und die Fritteuse heiß laufen lassen. So ging das bis Sonntagnachmittag – und dann wieder Küchenpause für die nächsten sechs Tage.
    Das schockt noch nicht?
    Na gut. Noch schlimmer ist ein anderer Traum.
    Das darf ich eigentlich niemandem erzählen. Habe ich auch noch nicht. Aber ich will ja hier nichts verschweigen. Also bitte ich jetzt alle Vertreter von Menschenrechtsorganisationen und demokratischen Regierungen, einmal kurz drüber hinwegzulesen.
    Alle fertig? Okay, also.
    Ich habe mich tatsächlich schon sehnsuchtsvoll in die Fantasie hineingesteigert, einmal zum Tod verurteilt zu sein – Hinrichtungstermin: morgen.
    Nein, das ist keine Todessehnsucht, jedenfalls nicht vordergründig. Ich steigere mich gar nicht ins Sterben oder ins Tot-Sein hinein, daran denke ich dabei gar nicht.
    Ich denke an den Abend oder den Mittag vor der Hinrichtung.
    An die Henkersmahlzeit .
    An das letzte Mahl.
    Reinhauen ohne Reue. Mich richtig vollstopfen mit den größten Leckereien. Ich könnte förmlich essen, bis ich platze – und würde damit sogar noch jemandem die Arbeit abnehmen.
    Wäre das ein Fest.
    Vielleicht habe ich etwas verquere Vorstellungen davon, was im Todestrakt so an Mahlzeiten möglich ist. Aber da vertraue ich einfach auf das Mitgefühl meiner Bewacher, darauf, dass auch die das Besondere meiner Situation erkennen. Denn in diesem Moment könnte ich endlich mal wieder ohne Angst essen.
    Ohne Angst davor, dick zu werden.
    Denn: Es gäbe ja tatsächlich kein Morgen mehr . Kein Morgen, an dem ich feststellen könnte, dass ich zugenommen habe. Kein Morgen, an dem ich wie ein Bekloppter auf dem Rad sitze und versuche, das Gegessene ungegessen zu machen. Jede Kalorie doppelt wieder herunterzustrampeln. Keine Nacht davor, in der ich mich mit Kalorienzählen quäle. Nichts von alledem. Nur reueloses Fressen.
    Keine Ahnung, was ich bestellen würde. Ein Steak? Einen Burger? Ein 5-Sterne-5-Gänge-Menü? Oder alles? Jedenfalls etwas, das in seiner Kalorienanzahl in etwa dem gleichkommt, was ich jetzt in einer Woche esse.
    Oder in einem Monat.
    Ein Blick auf diese Gedanken, auf meinen Alltag genügt mir, um sagen zu können: Ich bin wirklich krank im Kopf. Das sagt mir der Vernünftige in mir, den es ja auch geben muss, sonst wäre ich längst aktiv verhungert.
    Und es macht mich irre, derart gegen meine Vernunft handeln zu müssen, weil es ja eigentlich nicht ich bin, der das bestimmt. Es ist ja ein anderer. Eine andere. Eine, der ich dabei zusehe, wie sie mein Leben ruiniert. Warum habe ich mich mit dieser Anna eingelassen? Ja, ich wollte dünn sein, nur dünn. Nicht krank und schon gar nicht fast tot!
    Sie machte diesen Typen aus mir mit diesen wahnwitzigen Blutwerten, die zum Leben zu schlecht und zum Sterben noch nicht schlecht genug sind. Sie raubt mir jedes Polster, jeden Halt, jeden Schutzschirm, jede Dämmung, jedes bisschen Isolierung. Meine Nerven liegen im wahrsten Wortsinn blank, ich verliere meine Contenance in Situationen, über die ich vor ein paar Jahren milde gelächelt hätte. Immer ungeduldig, immer gereizt. Das habe ich zwar schon besser im Griff, aber noch lange nicht gut genug. Wenn ich so agiere, wie ein Bündel aus blanken Nervendrähten, kann ich mich selbst nicht leiden.
    Aber wann kann ich das schon noch? Mich leiden können. Das ist sowieso das Thema. Wenn ich das könnte, wäre nicht alles gut, aber vieles besser. Dann könnte ich anders mit mir umgehen, müsste mich nicht so streng bewachen und könnte auch mal Milde walten lassen. Großmütig mit mir sein. Gelassen vielleicht sogar.
    Manchmal versuche ich so zu tun, als könnte ich mich gut leiden, als hätte ich mich richtig lieb. Aber ich merke selbst, dass ich kein Gefühl für dieses Gefühl habe, denn schon der Versuch, freundlich zu mir zu sein, gerät wieder zu einer bizarren Karikatur.
    Wie gesagt, ich kaufe mir ständig Blumen oder Deko-Kitsch, und ich weiß nicht, ob es Sehnsucht nach Gefühlen ist oder einfach eine hysterische Gefühligkeit. Aber ich bekomme regelrechte Romantik-Anfälle, freue mich etwa überschwänglich wie ein Kleinkind, wenn draußen Schnee auf den Bäumen liegt. Einst kam mir an Weihnachten kaum eine Kerze auf den Tisch. Nun ähnelt meine Wohnung pünktlich vom 1. Advent an illuminatorisch dem Nürnberger Christkindl-Markt. Und dann ist ja auch schon bald wieder Ostern.
    Vielleicht übertreibe ich es mit der Heimeligkeit,

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