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"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

Titel: "Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Frommert , Jens Clasen
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vor allem unbequemer wurde, sahen und gingen sie weg. Ich konnte das verstehen, gekränkt war ich dennoch.
    Andere haben tatsächlich geholfen. Ohne dass ich danach fragen müsste. Das war letztlich die Grundbedingung, denn darum bitten – das hätte ich nie gekonnt. Das konnte ich noch nie. Ich wollte keine reaktive Fürsorge.
    Beim Sieben des Freundes-Sandes wurde schnell klar, wer »fein« genug war, durch dieses Raster zu passen und wer als Steinchen auf der Strecke blieb.
    Als ich komisch wurde, sonderbar, immer seltsamer, es anstrengend war mit mir, ich Arbeit bedeutete, wussten plötzlich viele mit mir nichts mehr anzufangen. Bislang war ich zumindest immer für irgendetwas nützlich gewesen. Ich taugte für allerlei, meine Beziehungen, heutzutage Netzwerk genannt, waren beachtlich, und so war es oft ein Geben von mir und ein Nehmen der anderen: Ich habe gerne gegeben, ja ich drängte meine Hilfsbereitschaft und Großzügigkeit geradezu auf. »Nimm!, Nein, klar, kann ich besorgen.« Und ehe ich hätte den Rückzug antreten müssen, habe ich immer geliefert, koste es, was es wolle. Lieber habe ich aus eigener Tasche gezahlt, als zu sagen: »Du, schade, sorry, hat nicht geklappt.« Tickets, Trikots, Jobs, Praktika … Du hast ein Problem? Wenn es einer lösen kann, dann der Frommert, der Besorger und Erlediger, der Christian vom Dienst.
    Ich habe auch bitteres Lehrgeld gezahlt in meiner Sucht, Gutmensch zu sein, in der fixen Idee, Probleme anderer zu meinen zu machen.
    Am Ende meiner Spendentour durch die Roseneck-Klinik in Prien saßen wir wieder einmal in einer Gruppentherapiestunde, als eines der Mädchen ihren Traum vom Leben erzählte. So gerne würde sie sich lösen von ihrem aktuellen Umfeld, nur wisse sie nicht wie, weil ihr die finanziellen Mittel fehlten, den gordischen Knoten zu zerschlagen, der sie noch in ihrer alten Welt hält. Sie hatte noch nicht zu Ende erzählt, als ich schon einen Brief formulierte. Ich hatte die Mittel, ich würde sie ihr geben, und sie könne ja ab und an für mich arbeiten. Und wenn nicht, dann eben nicht. Zunächst dachte sie wohl, dass da der ältere Herr sich die Gunst einer jungen Frau erkaufen will. Als sie merkte, dass sie es mit einem echten Wohltäter zu tun hat, willigte sie ein. Sie zahlte sogar einen Teil zurück. Auf den Rest warte ich noch, sie hat sich nicht mehr gemeldet.
    »Schön doof«, werden Sie sagen. »Selbst schuld!«, werden Sie sagen. Und ich sage: »Sie haben recht.« Doch es sollte schlimmer kommen.
    Kaum war ich zurück vom Chiemsee, klingelte das Telefon. Es hatte sich offenbar herumgesprochen, dass man den Frommert melken konnte. Eine Mitpatientin, mit der ich nur spärlichen Kontakt gehabt hatte, war dran: Sie wolle die Chance auf ein neues Leben beim Schopf packen und mit ihrer besten Freundin in München zusammenziehen. Nun fehle aber Geld, weil der Job ja erst im Herbst beginne. Christian, hilf! Christian half. Es dauerte wenige Minuten, bis die gewünschte Geldmenge erbettelt und von mir überwiesen war. In Sachen Rückzahlung ließ ich mich ein paar Monate belügen, um dann offenbart zu bekommen, dass die junge Dame nicht im Traum daran denke, mir das Geld zurückzuzahlen. Keinen Cent. Die Begründung war einleuchtend: »Ich habe es nun mal nicht. Aus. Ende der Diskussion«. Und so hat sie Dauer-Darlehen von mir bekommen.
    Ich wollte wirklich helfen. Menschen, die ich eigentlich nicht mal kannte. Es war ein wirklich inneres Bedürfnis, Not zu lindern. Derart ausgenutzt zu werden schmerzte. Aber ein bisschen ist es wie mit Anna, geheilt haben mich diese einschneidenden Erlebnisse nicht.
    Mein Helfersyndrom ist allgegenwärtig. Auch daran kann man Menschen gewöhnen. Vielleicht habe ich auch hier wieder unterschwellig versucht, mir Zuneigung zu erarbeiten, sie für mich zu sichern und zu konservieren. »Entscheide dich für mich, und du bekommst noch ein dickes Extra dazu.« Erst im Rückblick habe ich gemerkt, dass die, die geblieben waren, nie etwas dafür verlangt hatten. Im Gegenteil.
    Die Feinen, die nicht im Sieb hängengeblieben waren, das waren und sind die Menschen, die mich liebten, die mich in ihr Herz geschlossen hatten – und die mich nicht aufgaben, als sie meine Faxen dicke hatten. Einige sollten später sagen: »Wir wussten nicht mehr, wie wir mit dir umgehen sollten.« Aus ihrer Sicht war das sicher richtig. Denn: Mit mir war nicht mehr umzugehen. Aber ich hätte einen Abschied mit lautem Knall der lautlos geschlossenen

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