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"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

Titel: "Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Frommert , Jens Clasen
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Tagen Rhythmus und Struktur – und mir das Gefühl, etwas richtig zu machen. Alles im Griff zu haben. Auch das Jonglieren auf dem schmalen Grat zwischen Leben und Tod. Natürlich dachte ich auch immer wieder darüber nach, was dieses regelmäßige Essen in meinem Körper bewirkte, ob ich nicht trotz totaler Fettreduzierung und minimaler Miniportionen zunähme. Irgendwo muss dieser ganze Mist doch bleiben! Ich hätte das ja leicht feststellen können, indem ich mich auf die Waage stellte. Aber das hätte wiederum eine Gewissheit bedeutet, die kalte, nüchterne Klarheit einer Zahl, die ich so nicht kennen wollte. Ich hatte andere Zustands-Erkennungsmerkmale: Kann ich mit meiner rechten Hand noch meinen linken Oberarm umklammern? Passen mir die Mädchen-Jeans noch? Und gehen mir auch noch allmorgendlich die Haare aus? Das war ein mich stets beruhigender, sicherer Ausweis dafür, dass es mir und meiner Magersucht gut ging. Wir harmonisch unsere Partnerschaft pflegten und lebten. War aber kein Büschel mehr im Kamm, stellte sich die schlimmste aller Fragen: »Habe ich zugenommen?«
    Reden wir von etwas anderem.
    Ich verzichte an dieser Stelle auf Reise- sowie Aufenthalt-Details. Die würden nur langweilen. Dass Sydney in den nächsten Wochen Kapstadt mühelos von der Liste »meiner schönsten Städte der Welt« auf Platz drei würde verdrängen und sich hinter dem unangefochten an der Spitze thronenden Vancouver festsetzen würde, war Eindrücken geschuldet, die sogar mir unter die Haut zu gehen vermochten.
    Wir waren also gut dort angekommen, auch wenn der Hinflug enorm anstrengte, obwohl er einer Business-Klasse alle Ehre machte. An Schlaf war bei mir ja ohnehin nicht zu denken. Ich schaffte es nicht in meinem Bett, wieso also in einem Flugzeug? Immerhin schaffte ich es, ab und an mal ein Auge zuzudrücken. Mit dem anderen schielte ich immer nach links. Dort hatte ich unter aktiver Hilfe der Flugbegleiterinnen meine Mutter abgelegt. Zwar hatte ich die Kopfhörer auf den Ohren, aber jede ihrer Regungen oder dahingenuschelten Beschwerden registrierte ich seismografengleich.
    Ehe wir in Sydney landen konnten, brachten wir noch Stopps in Dubai und Bangkok hinter uns, aber bedauern musste man die kleine Reisegruppe aus dem Hessischen wegen dieser mehrstündigen Unterbrechungen gewiss nicht. Es gibt unwirtlichere Aufenthaltsorte als die Emirates-Lounges dieser beiden Airports. In dem tiefgekühlten arabischen Einkaufsparadies mit angegliederter Start- und Landebahn brachte ich es nicht nur fertig, ein wenig Obst in mich zu löffeln, sondern fand auch ein ruhiges Plätzchen, um mittels sportlicher Aktivität die gerade zu mir genommenen Kalorien wieder abzutrainieren. Ich atmete erst einmal tief durch, das ließ sich doch gut an. Doch es sollte noch besser kommen.
    Endlich näherten wir uns dem Hafen, und als hätte man die beiden meiner Mutter und mir zu Ehren abkommandiert, waren Harbour Bridge und Opernhaus zur Begrüßungsparade vollzählig angetreten und standen strahlend in der gleißenden Sonne dieses Ankunftstages. Es war atemberaubend. Traumhaft. Diese Weite, diese Schönheit, die bald zu erlebende Lebenslust von so herrlich unkomplizierten Menschen, die sogar ich ansteckend fand …
    Wieso sich allerdings meine Anspannung partout nicht legen wollte, auch nicht, nachdem wir den nagelneuen Mietwagen abgeholt, das Gepäck verstaut und das Navigationssystem erfolgreich programmiert hatten, sollte sich im Lauf der nächsten Wochen zeigen. Und das nicht nur wegen der zwar freundlichen, hilfsbereiten, aber auch despotischen, besserwisserischen, keinerlei Widersprüche duldenden Gastgeberin Elisabeth, einer alten Schulfreundin meiner Mutter.
    Hauptärgernis für mich war meine Mutter.
    Anstatt sich der kauzigen, übergriffigen Art unserer Gastgeberin entgegen-, ja auch einmal zu widersetzen, ihr Paroli zu bieten, einfach nur ihre eigenen Wünsche, ihre Bedürfnisse vorsichtig und freundlich zu artikulieren, gab meine Mutter alle Würde auf. Ihr Credo war: Kein NEIN zur Gastgeberin. NIE . Auf KEINEN Fall.
    Sie fraß im wahrsten Wortsinn alles in sich hinein, was sie an schwer Verdaulichem vorgesetzt bekam. An Worten und Speisen. Morgens, mittags und abends. Selbst die ganz speziellen Mahlzeiten, eine Kombination aus in Erinnerung gebliebener deutscher Hausfrauenkost und in Australien gekaufter Fertigprodukte. Verwegene Eigenkreationen allesamt. All die dafür benötigten Zutaten stammten aus den Regalen und Tiefkühltruhen

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