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"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

Titel: "Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Frommert , Jens Clasen
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bleibst du denn?« Die hupenden Busse, die schimpfenden Autofahrer … ich brachte selbst den eher in sich ruhenden Australier auf die Palme. Und dann war da noch dieses eine stets drängende Problem. Zwar hatte ich hier meinen vor Jahren aufgegebenen Kaugummi-Massen-Konsum wieder reaktiviert, doch die damit verbundene Annahme, weniger Flüssigkeit in mich hineinzuschütten, sollte sich als irrig erweisen. Ich stand mitten im Herzen Sydneys, und meine Blase drohte zu platzen. Ich saß alleine in einem verbotenerweise in zweiter Reihe geparkten Hausfrauen-Geländewagen, der noch dazu gut zur Hälfte die Bus- und Taxispur blockierte. Die Wartezeit auf Steffi schien ewig, und sie bemaß sich becherweise.
    Es sollten dies trotzdem die unbeschwertesten Stunden sein. Denn meist kurvten Steffi und ich zu zweit durch diese Neue-Welt-Geschichte. Selten nur saß noch jemand im Fond. Mutter saß meist im Halbdunkel auf einem großen braunen Ledersessel und schaute fern. Sie saß und aß und verschmähte unser tägliches Angebot, sie mitzunehmen, um sie kosten zu lassen von den wahren Leckerbissen, die dieses Land zu bieten hatte.
    Draußen knallte die Sonne vom stahlblauen Himmel, drinnen war es ewig Nacht. Kein Strahl durchdrang die fest verschlossenen Rollläden, kein Lufthauch, der durch den Spalt einer geöffneten Tür oder eines Fensters Einlass in den kalt gefliesten Wohnraum gefunden hätte. Wärme hatte hier drin nichts zu suchen. Auch nicht in Form von liebevoller Dekoration. In den alten Glasvasen standen Kunstblumen, selbst im Garten waren Plastiksträucher ins Beet gepflanzt. Einmal brachte ich vom morgendlichen Einkauf Schnittblumen mit für die Gastgeberin. Diese brachte mir daraufhin einen derben Rüffel bei. »Sinnlose Geldverschwendung« sei das.
    Aber was hatte ich erwartet in einem Haus, in dem der Hund heißt wie sein Herrchen? Und beide wahlweise Platz oder Männchen machen, wenn des Hauses Herrscherin diesen einen Namen ruft: Otto. Ein Pragmatismus, der zu hören und überall zu sehen war. Diese Menschen leben seit Jahrzehnten ihr Leben. Alles war auf ihre Bedürfnisse optimiert. Natürlich störten wir. Es war eine deutsche Enklave mitten in Sydney, in der alles so war, weil es schon immer so gemacht wurde und noch nie anders war. Ein Szenario, in dem ich mich mit meinen Ritualen und Zwängen dagegen als der flexibelste, pflichtvergessenste Hallodri auf diesem Erdball fühlte.
    Hier also schlug meine Mutter fortan Zeit tot. Ihre Frustration war hoch. Natürlich wäre sie lieber öfter mitgegangen, aber dann hätte sie die Alternativen ausschlagen müssen, die mit unseren Vorschlägen konkurrierten. Sie hätte NEIN sagen müssen zu den Planungen ihrer Klassenkameradin: Fernsehen zum Beispiel, meist irgendwelche albernen Serien, in Englisch, eine Sprache, die meine Mutter nur rudimentär sprach und verstand. Oder eine Halbtagestour in die Einkaufspassage der benachbarten Kleinstadt, deren Geschäfte natürlich »viel zu teuer« waren und obendrein »lauter unnützes rubbish« hatten, wie Elisabeth streng urteilte. Sonntags ging es in die Kirche. Aus Angst, hier auch noch Ärger auslösen zu können, biss meine Mutter sich auf die Zunge und sagte zu allem Ja und Amen.
    Wenn Steffi und ich am Abend zurückkamen von unserem Brötchen-Einkaufsfahrten mitsamt angeschlossenem Ausflugsprogramm, wurden wir mit Blicken aufgefressen. Wir bekamen das Gefühl vermittelt, sie schnöde im Stich, einfach sitzengelassen zu haben. Und manchmal bekam ich das auch gesagt. Schon nach drei Tagen wollte meine Mutter zum ersten Mal wieder abreisen. Sie hatte die Schnauze gestrichen voll. Sie beklagte je nach Laune mein Verhalten, das der Gastgeberin oder Vaters Tod. Sie projizierte all ihre Resignation auf mich. All die Wut, den Frust, gefangen zu sein in diesem Haus, in ihrer Haut, ließ meine Mutter komplett an mir aus. Und worüber konnte sie sich nicht alles aufregen – zu Recht, ja, aber warum nur mir gegenüber? Steffi hielt sich bei all unseren Konflikten spürbar zurück – aber sie war da, wenn ich sie brauchte. Und natürlich bekam sie alles mit.
    Ich war der Sündenbock. Ich war für all das verantwortlich. Und irgendwie stimmte das ja auch. Ich habe sie dorthin getrieben. Weil ich glaubte zu wissen, was gut für sie ist, ihr eine Freude machen wollte, einen lang gehegten Wunsch erfüllen. Aber sie war noch nicht so weit. Es ist dieses »gut gemeint«, das eigentlich immer »schlecht gemacht« bedeutet. Wir alle

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