"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)
es geschehen.
Ich war machtlos, war ihr Werkzeug.
Die gesamte Prozedur begann von vorne. Termine suchen, Flüge checken, Verfügbarkeit prüfen. Neue Termine suchen, Flüge checken … Es war eine elende Arbeit, es zog sich ewig. Zumal ich ja auch ihren Transport aus Bürstadt gen Flughafen organisieren musste. Ende Januar schließlich bekam ich eine Bestätigung in typisch kryptischer Fliegersprache, die ich aufgrund meiner Vergangenheit aus dem Effeff beherrschte: 11/02/21 ex FRA via DXB / BKK to SYD . Da stand also, dass unsere Maschine nun endlich keine Warteschleife mehr fliegt, sondern auf ihre Startposition rollt und abhebt: Am 21. Februar sollte es von Frankfurt/Main aus über Dubai und Bangkok nach Sydney gehen. Ich freute mich.
Nicht für mich, ich hatte schon längst keine Freude mehr an der Reise. Ich war desillusioniert, auf dem Boden der Tatsache. Irgendwie ahnte ich wohl, dass diese Reise in einem Fiasko enden würde. Es war ein Fremdfreuen – für Frau Orszulka. Sie war wohl intensiver in die ganzen Vorbereitungen verstrickt, als ich es je gewesen war. Sie freute sich wahnsinnig, meine Mutter und mich nun endlich mit allen nötigen Dokumenten und Zeiten und Wünschen versehen zu haben und ans andere Ende der Welt schicken zu können. Diese Freude war bei mir längst verflogen. Australien war für mich nicht mehr als ein weiterer Ortstermin, den ich irgendwie hinter mich bringen würde. Für Frau Orszulka wäre so etwas ein Traum gewesen. Ein bisschen schämte ich mich für meine Ignoranz. Aber ich fühlte es nun einmal so. Später schickte ich Franziska Orszulka eine Postkarte. Wenigstens das.
Es war der sechste Sinn, der mir die Reise in den fünften Kontinent vergällte. Ein tief in meine Seele eingeschriebenes geheimes Wissen, dass es ein furchtbarer Kampf werden würde. Um jeden Quadratmillimeter, um jedes Wort, jede Handlung. Zwei sture Hunde am Ende der Welt. Wenn man es im Nachhinein betrachtet: Es konnte gar nicht gut gehen … Australien war eigentlich zu klein für meine Mutter und mich. Und dann kamen da noch andere mehr oder weniger handelnde Personen dazu. Aber eins nach dem anderen.
Genau so, wie es ein Kampf gewesen war, diese Reise zu organisieren, war es ein Kampf gewesen, dieses Geschenk zu überbringen, und nichts anderes war es: ein gigantisches Geschenk – und ich hasste es, wenn meine Geschenke nicht ankamen. Ich wollte keinen Dank, aber die Freude in dem Beglückten entdecken, nur ein Fitzelchen davon, das wollte ich schon. Es machte mich fertig, nicht den Hauch davon wahrnehmen zu können. Ablehnung stattdessen, Kritik, Vorwürfe, Ungerechtigkeiten. In Sydney würde immer noch Sommer sein, wenn wir ankamen. Aber ich hatte das Gefühl, dieser Winter würde ewig währen.
Es war eine der besten Ideen meines Lebens, die Angst vor der Enge zu zweit mit einer dritten Person wieder auszudehnen … Eigentlich war es utopisch. Man fragt einen Freund, ob er mit auf ein Fest geht, zum Kaffeetrinken, vielleicht über ein langes Wochenende mal einen Trip nach irgendwohin unternimmt. Man fragt aber eine Freundin nicht mal so, ob sie Bock hätte, in ein paar Tagen mal eben nach Australien zu fliegen.
Aber wie Sie vielleicht schon gemerkt haben, war ich ohnehin nicht mehr ganz zurechnungsfähig. Also fragte ich Steffi, ob sie nicht Bock hätte in ein paar Tagen mal eben … Natürlich hatte sie fast in Echtzeit mitbekommen, welche Mühen und welchen Kummer allein die Vorbereitungen auf diese Reise mir machten – und stellte nicht ganz unbegründet die Frage, wie es erst dort werden würde, da wir uns doch hier schon derart aneinander abarbeiteten, meine Mutter und ich. Sie stellte sich die gleichen Fragen wie ich mir selbst: Würde ich das durchhalten? Wie würde es mit meinen – zumindest in der Theorie bestehenden – Essensplänchen und den darin aufgeführten Terminen weitergehen? Welche Auswirkungen hätten all diese körperlichen Strapazen auf mich, auf einen, der kaum eine Treppe steigen konnte? Immerhin schienen die Temperaturen ganz ordentlich. Bei zu erwartenden knapp 40 Grad Celsius musste ich wenigstens nicht allzu viele Platz fressende Pullis und Fleece-Hemden einpacken.
Steffi überlegte nicht lange. Ihre Antwort kam, und ich war wie immer überwältigt und fast sprachlos ob ihrer Anteilnahme und Empathie. Steffi sagte JA . Zu mir und meiner Mama. Und auch wenn sich die beiden nicht kannten, ich wusste, dass Steffi meiner Mutter gegenüber Vorbehalte hatte. Sie sah,
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