"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)
eines Discounters. Keine Kräuter, keine frische Ware aus der nun wahrlich weitläufigen Region. Weder Fisch noch Fleisch.
O.k. Mir konnte das ja egal sein. Ich hatte diese Kochinsel in meine eigene Oase verwandelt. Ich zauberte wieder mal mein eigenes Süppchen. Oder Steffi schwang den Kochstab. Es gab, was es immer gab: Gemüse, Obst, Milchprodukte, fettfrei. Zwar erntete ich böse Blicke und in den ersten Tagen auch Kommentare, die das gesammelte Unverständnis darüber ausdrückten, wie ein erwachsener Mann um Himmels willen NICHT ESSEN kann.
Natürlich hatte ich kein Verständnis zu erwarten. Warum auch? Fast niemand, auch nicht aus meiner Generation, hatte Verständnis, und in lichten Momenten war ich mir ja selbst ein Rätsel. Wieso also hier, von ihr? Zwar war die Nachricht in etwa mit dem Tenor »Achtung, Elisabeth, der is(s)t komisch, der hat Magersucht, ich entschuldige mich schon mal« mir ja schon längst fernmündlich hierher vorausgeeilt, doch das dann tatsächlich live am eigenen Herd und im eigenen Heim mitzuerleben war noch einmal eine andere Sache. Krebs, Herzinfarkt, Schlaganfall, Fußpilz – das waren schlimme Krankheiten, die als solche auch zu akzeptieren waren. Aber da kommt dieses verwöhnte, zartbesaitete Bübchen daher und kann nichts essen. Ach Gottchen … Noch nichts erlebt … Im Krieg wären wir froh gewesen … Die Kinder in Afrika … – die üblichen Reflexe und Routinen, die bekannten Totschlagargumente eben. Begleitet von kleineren Sticheleien sah sie mir beim Schnippeln zu, was mich fast in den Wahnsinn trieb. Irgendwann aber ließ sie ab und schluckte ihre Kommentare herunter.
Sie stellte mir sogar ein kleines Tablett zur Verfügung, auf das ich meine Sößchen, Gewürz-, Teedosen und sonstige Zutaten platzieren konnte. Ein kleines Reich wurde mir auch in der Garage eingerichtet: Ich durfte nicht nur die putzigen, leicht veralteten TV -Shop-Fitnessgeräte nutzen (was ich übrigens irrsinnigerweise auch allfrühmorgendlich stundenlang tat). Auch die Tür zu einer ebenfalls in die Jahre gekommenen Kühl-Gefrierkombination wurde mir geöffnet. So konnte ich mein Gemüse frisch und kleinere Mengen meines Obstes tiefgefroren halten.
Die Nase voll hatten sie und ihr Lebenspartner aber schon bald von meiner Ausgehölte-Brötchenhälfte-Toasterei. Der stets kläffende Hund nahm auch schon Witterung auf, und so musste ich fortan draußen bleiben. Ein Tischchen wurde aufgestellt, gleich bei den Mülltonnen, darauf stand der Toaster, mit dem ich bei 40 Grad Außentemperatur meinen Brötchen einheizte, bis sie schwarz wurden. Wie immer ließ ich dem Backwerk meine ganze Aufmerksamkeit zukommen. Ich behandelte es wie ein rohes Ei. Es zu ergattern kam einer Schatzsuche gleich.
Natürlich hatte ich schon zu Hause recherchiert, wie ich der zu erwartenden Weißbrotschwemme entrinnen konnte. Ich stieß auf eine Bäckerei, die ein aus Deutschland stammender Türke dankenswerterweise ins Land der Kängurus, Koalas, Krokodile und des gewöhnungsbedürftigen Vegemite-Brotaufstriches exportiert hatte. Und siehe da: eine »Luneburger«-Filiale war quasi ums Eck. Was in Australien bedeutete: Mal eben Brötchen holen dauerte rund drei bis vier Stunden. Ein Katzensprung also, den Steffi und ich stets mit kleineren und großen Unternehmungen verbanden. Wir planten Tagesausflüge und Anzahl der zu kaufenden Teigwaren akribisch, überließen nichts dem Zufall, so ein Brötchenkauf ist schließlich kein Spaß.
Wir fuhren verschlungene Wege, um einiger Brötchen innerhalb der kurz bemessenen Ladenöffnungszeiten habhaft zu werden. Um die jeweils ausgeguckte Luneburger-Filiale – insgesamt hatte ich drei im Riesengroß-Raum Sydney ausgemacht – drehte sich alles: Tag, Trip, Timing. So frisch wie möglich sollten sie sein, nicht gar zu altbacken. Der Frische waren aber schon wegen der Entfernungen enge Grenzen gesetzt, und wer weiß, was morgen sein würde? Flutkatastrophe, ein Orkan, ein Zyklon? So kauften wir meist am Vorabend auf Vorrat. Aber was heißt hier eigentlich: WIR ? Ich jagte Steffi auch schon mal in die Katakomben des in der Stadtmitte stehenden riesigen Queen Victoria Buildings, derweil ich mit dem Wagen auf der nicht gerade wenig frequentierten Hauptverkehrsader dieser faszinierenden Weltmetropole, der George Street, in zweiter Reihe parkte. Für Steffi war es ein Spießrutenlaufen, für mich war es ein Warten, das sich gefühlt ins Endlose ausdehnte.
Ich fluchte: »Mann, Steffi, wo
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