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Dann klappt's auch mit dem Doktor

Dann klappt's auch mit dem Doktor

Titel: Dann klappt's auch mit dem Doktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Lenz
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Anfall, ausgelöst durch schnell ansteigendes, hohes Fieber. In der Hoffnung, weitere Anfälle vermeiden zu können, senken wir dann das Fieber eher frühzeitig. Kurz vor Mitternacht liegt das Mädchen hoch fiebernd, schlapp und mit glasigem Blick in ihrem Bettchen. Frau M., die Mutter, sitzt davor mit einem Glas Wasser in der Hand, das sie über das Bettchen hält. Die Schwestern sind verzweifelt. Seit mehr als einer Stunde verweigert Frau M. die Gabe eines Fieberzäpfchens. Auf mein Nachfragen hin erklärt sie mir: »Wissen Sie, ich halte nichts von Schulmedizin. Ich schwinge das Fieber lieber mit Wasser weg.«
    Â»Wenn Sie so gar nichts von der Schulmedizin halten, warum sind Sie denn dann in unsere Klinik gekommen?«, möchte ich wissen.
    Â»Na, wenn die Schwingungen doch nicht helfen sollten und meine Tochter wieder einen Anfall bekommt, dann können Sie sie ja retten.«
    Dass so ein Anfall für ein Kind nicht gerade spaßig ist und die Medikamente zur Anfallsunterbrechung weitaus beeinträchtigender sind als ein Fieberzäpfchen, interessiert sie leider nicht.
    Da schreitet Dr. Kruppa, der diensthabende Oberarzt, der gerade seine abendliche Kontrollrunde durch die Stationen macht, ein. Dr. Kruppa ist kein Freund vieler, dafür aber sehr deutlicher Worte. Mit dem Ausspruch »Wir sind die behandelnden Ärzte, und zum Wohle des Kindes liegen die Rechte bei uns«, verabreicht er dem Mädchen das Fieberzäpfchen.
    Resultat dieser Aktion: Das Fieber sinkt, dem Kind geht es besser, und Frau M. will uns verklagen. In diesem Moment kommt Herr M. dazu, und nach wenigen Minuten verstehe ich, warum dieses Ehepaar in Trennung lebt.
    Â»Meine Frau ist völlig verrückt. Wenn Sie meiner Tochter nicht genug Fieberzäpfchen geben, verklage ich Sie!«, poltert er durch die Nachtruhe. Diese Handlungskette beginnt meinen nachtdienstlichen Horizont zu überschreiten, und ich bin heilfroh, als ich in die Notaufnahme gerufen werde. So etwas ist eindeutig Oberarztaufgabe. Ob es noch arbeitslose Anwälte gibt? Kann ich mir gar nicht vorstellen.
    Den Rest der Nacht verbringe ich mit Ohrenschmerzen, Zecken, Verstopfung, Trotzphasen, Durchfall, Läusen, Erbrechen, Fieber, Blähungen, Bandwürmern, eben mit allem, was die Notaufnahme so bereithält.
    Gegen Morgen wird dieser erfreulich unspektakulär verlaufende Dienst jedoch durch einen Zwischenfall gestört.
    Ich setze gerade frischen Kaffee auf – weil wir Frauen nicht so hierarchisch denken, sehen wir uns auch als Ärztinnen dazu in der Lage, für Krankenschwestern, Schwesternschülerinnen, Zivis und Praktikanten Kaffee zu kochen, ohne dass uns dabei ein Zacken aus dem Krönchen bricht –, da klingelt plötzlich das Notfalltelefon. Das Notfalltelefon ist rot, hat eine eigene Telefonleitung in die Klinik, um stets erreichbar zu sein, und seine Nummer wird nur im absoluten Notfall gewählt. Da klingelt es, laut und unmissverständlich! Das gesamte Personal der Notaufnahme erstarrt schlagartig zur kollektiven Salzsäule und stiert das Notfalltelefon an. Der Dienstarzt muss an dieses Telefon gehen. Es klingelt … Der Dienstarzt bin ich, verdammt!
    Ich sprinte los und gehe in Gedanken schon alle erdenklichen Horrorszenarien durch. Was wird es sein? Eine Massenkarambolage? Ein Busunglück? Ein Hausbrand? Eine Gasexplosion? Ein Blitzeinschlag? Wie viele Einsatzkräfte werden wir brauchen? Es klingelt weiter. Endlich erreiche ich das Telefon. Mit zittrigen Knien, völlig außer Atem stehe ich da und nehme den Hörer ab: »Notaufnahme, Kinderklinik, Dr. Plüm am Apparat!«
    Â»Ja, einen herrlichen guten Morgen wünsche ich Ihnen, hier ist Frau Melzer von der Meinungsumfragegesellschaft Luks. Hätten Sie vielleicht Zeit für eine kleine Umfrage?«, flötet mir eine geschult freundliche Frauenstimme ins Ohr. Meine Gesichtszüge entgleiten mir von fassungslos hin zu fuchsteufelswild. Das Notaufnahmepersonal entspannt sich.
    Am Ende unseres Gespräches schwört mir Frau Melzer bei ihrem Leben, nie aber auch nie, nie wieder diese Nummer zu wählen und sie aus ihrer Umfrageliste zu streichen. Mensch, was für ein Stress am frühen Morgen! Ich bin eindeutig kein Adrenalinjunkie. Ob noch Schokokekse da sind?
    Nachdem ich mich von diesem Schreck erholt habe, warte ich pünktlich zur Übergabezeit auf den Kollegen, der die Notaufnahme tagsüber besetzen

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