Dann klappt's auch mit dem Doktor
wird: Dr. Dietrich.
Die halbe Nacht war ich damit beschäftigt, mir die passenden Worte für diesen, meinen Ruf gefährdenden Schwerenöter zurechtzulegen. Eine halbe Stunde später warte ich immer noch auf ihn. Mist! Das bedeutet, dass ich bei ihm zu Hause anrufen muss, um zu fragen, wo er bleibt. Das geht auf gar keinen Fall. SchlieÃlich hoffe ich verzweifelt darauf, dass Frau Dietrich ihre Wut auf mich inzwischen vergessen hat. Vera, die ebenfalls Frühdienst hat, erledigt das glücklicherweise für mich, und ich höre über den Lautsprecher mit. Frau Dietrich geht natürlich sofort ran.
»Guten Morgen, Frau Dietrich, Weber hier, Kinderklinik. Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber ich hätte gerne Ihren Mann gesprochen.«
»Wieso meinen Mann? Der hatte doch letzte Nacht Dienst und muss heute mal wieder länger bleiben. Diese Arbeitsbedingungen sind eine Schande! Aber warum fragen Sie nach ihm? Stimmt etwas nicht?«
Allerdings, das könnte man so sagen.
»Nein, nein, alles in Ordnung. Ich habe ihn vermutlich nur übersehen. Schönen Tag noch, Frau Dietrich«, antwortet Vera und legt schnell auf.
Ãbersehen? Die Ausrede ist so schlecht, dass sie von mir stammen könnte. Wir schauen uns ratlos an. Was nun? Unseren abtrünnigen Kollegen können wir nicht erreichen, und langsam muss mich jemand ablösen. Da klingelt das Diensthandy, es ist Dietrich: »Entschuldige bitte, ich stehe im Stau und komme etwa eine halbe Stunde später â¦Â« Die Verbindung bricht ab.
Der ist ja mutig. Die halbe Stunde ist schon fast dreimal vorbei. Langsam, aber sicher steigt neben meiner Wut auch meine Neugierde: Wo hat der sich bloà rumgetrieben und vor allem mit wem? Vera konnte bislang leider noch nichts über die ominöse Geliebte herausbekommen, aber vielleicht schafft sie es ja heute. Erst mal nimmt sie mir jedoch Diensthandy und -pieper ab, damit ich endlich nach Hause gehen kann. Heute habe ich absolut keine Lust mehr, noch länger zu warten, um mich mit unserem liebestollen Kollegen anzulegen.
Während meines ungefähr hundertzweiunddreiÃigsten Kontrollgangs zur Pinnwand, die zum Glück auf meinem Weg zum Auto liegt, spricht mich der Pförtner plötzlich von hinten an: »Frau Plüm, kann ich Ihnen behilflich sein? Ich sehe Sie schon die ganze Nacht immer wieder hier vorbeikommen. Haben Sie etwas verloren?«
Ertappt fahre ich herum: »Meine Güte, haben Sie mich erschreckt. Ich dachte, Sie sitzen hinter Ihrem Tresen!«
»Raucherpause«, er grinst und weist mit dem Kopf Richtung Ausgang. Dann hakt er nach: »Kann ich Ihnen helfen? Suchen Sie etwas?«
Der Mann ist einfach zu neugierig.
»Ãhm, ja, nun ⦠meinen Stift.«
»Wie sieht er denn aus?«, fragt er, offensichtlich enttäuscht über meine banale Antwort. Ob er irgendetwas mitbekommen hat?
»Es ist ein rosafarbener Kuli mit kleinen Swarovski-Steinchen.«
Ich habe keine Ahnung, ob so ein Kugelschreiber überhaupt existiert, aber falls es ihn gibt und die Besitzerin ihn in unserer Klinik verlieren sollte, ist das meine Chance. Einen solchen Stift wünsche ich mir schon, seit ich denken kann.
»Frau Plüm, ich werde für Sie die Augen offen halten. Aber Sie sollten zusätzlich hier noch eine Suchmeldung aushängen.«
»Vielen Dank, das mache ich.«
»Guten Morgen, die Dame. Wieso wundert es mich nicht, Sie mal wieder hier anzutreffen?« Es ist Mister Pullunder. Diesmal in Beige. Beige Cordhose, beigeweià kariertes Hemd und beiger Pullunder. Sieht aus wie aus einem dieser gelblich verfärbten alten SchwarzweiÃfotos.
»Guten Morgen, Herr Doktor. Wissen Sie, Frau Plüm hat ihren Stift verloren â¦Â«, eilt mir der Pförtner ahnungslos zu Hilfe.
»So, sie hat also ihren Stift verloren«, blickt der Herr Doktor mich zweifelnd an und zieht dabei die linke Augenbraue hoch.
»So etwas mag bisweilen vorkommen«, kontere ich schnippisch und mache mich aus dem Staub, um endlich nach Hause zu fahren.
Während ich Richtung Ausgang eile, bekomme ich noch mit, wie der bemühte Pförtner dem Herrn Doktor eine ausführliche Beschreibung meines imaginären Kugelschreibers gibt, und würde am liebsten im Erdboden versinken.
»Dann frag doch den Pförtner, wer deine unbekannte Nervensäge ist«, schlägt Vera vor.
Ãbermüdet und aufgedreht zugleich liege ich gute drei
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