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Dann klappt's auch mit dem Doktor

Dann klappt's auch mit dem Doktor

Titel: Dann klappt's auch mit dem Doktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Lenz
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nicht zum ersten Mal jemanden in die Psychiatrie ein. Die Rechnung habe ich jedoch ohne Steve gemacht.
    Der findet: »Auf Psychoscheiße hab ich keinen Bock«, und stapft, eine Reisetasche in der Linken, eine in der Rechten, aus seinem Zimmer.
    Da er über keinerlei Kondition verfügt, kommt er mit den schweren Taschen etwa vier Meter den Gang entlang. Dann muss er sein Gepäck schnaufend absetzen und sich erholen. Ich versuche ihn zu überreden hierzubleiben. »Mann, Alte, laber mich nicht voll, ich geh nicht ins Irrenhaus. Ich will jetzt nach Hause.« Steve schafft diesmal fast fünf Meter bis zur nächsten Pause.
    Â»Gehen Sie bloß nicht zu nah an ihn ran. Der hat schon einige Vorstrafen wegen Körperverletzung«, warnt mich ein Pfleger. Ich halte Abstand. Wenn Steve mir mit seinen Pranken eine watscht, dann war’s das. Steve nimmt seine Taschen wieder auf und schnauft weitere vier Meter den Gang hinunter. Wenn er so weitermacht, können wir ihn nicht aufhalten. »Steve, hör mal …«, ich gehe etwa einen halben Meter auf ihn zu und komme an der nächsten Wand liegend wieder zu mir. Mit einer solchen Reichweite seiner Arme habe ich nicht gerechnet.
    Â»Ich habe doch gesagt, Sie sollen aufpassen. Geht’s?«, hilft der Pfleger mir auf.
    Keine Ahnung. Mein Kopf dröhnt, und jeder Atemzug ist die Hölle. Meine Brille hat einen Sprung, und ich glaube, mein rechtes Auge schwillt zu. So können wir Monster-Steve nicht aufhalten. Ich versuche das Fixierteam anzufordern, das für das sichere Festsetzen aggressiver Patienten zuständig ist. Die haben jedoch in der Psychiatrie gerade selbst einen Notfall. Panisch rufe ich die Polizei an, während Steve langsam, Meter für Meter, die Station verlässt.
    Â»Guten Tag, Plüm, Kinderklinik. Ich habe hier einen aggressiven, vermutlich suizidalen Jugendlichen, der gerade die Station verlässt. Bitte kommen Sie schnell.«
    Â»Wir sind unterwegs. Halten Sie den Patienten solange auf«, tönt eine unfreundliche Männerstimme aus dem Hörer.
    Â»Das wird kaum möglich sein, der Patient …«
    Â»Wenn Sie ihn weglaufen lassen, bekommen Sie richtig Ärger mit uns.« Das Gespräch ist beendet.
    Â»Jugendlicher, übergewichtiger Patient auf der Flucht, lassen Sie ihn auf keinen Fall raus«, warne ich den Pförtner über Funk. Dann laufe ich Steve hinterher. Der hat es inzwischen tatsächlich geschafft, die Klinik zu verlassen. Er steht genau einen Meter hinter der Eingangstür, in grenzenloser Freiheit. Die Reisetaschen stehen neben ihm auf dem Boden, und er keucht bedenklich.
    Â»Warum haben Sie die Tür nicht geschlossen?«, fahre ich den Pförtner an. Der ist beleidigt: »Der Junge sieht doch gar nicht aus wie auf der Flucht. Ich habe mit jemandem gerechnet, der um sein Leben rennt.«
    Tja, genau das tut Steve ja gerade. Nur eben auf seine Weise.
    Â»Was ist eigentlich mit Ihrem Auge und Ihrer Brille passiert?«
    Â»Steve, das ist passiert.« Ich rufe Denner an: »Sie müssen sofort kommen. Steve hat die Klinik verlassen und ist auf dem Weg nach Hause. Die Polizei ist informiert, aber es dauert noch eine Weile, bis sie hier sind.«
    Â»Wo ist Steve jetzt genau?«
    Â»In der Auffahrt zum Haupteingang.«
    Â»Behalten Sie ihn im Auge, ich komme sofort.«
    Zwei Minuten später gehen Mister Pullunder und ich in gebührendem Abstand hinter Steve her. Eine Verfolgungsjagd im Schneckentempo. Wenn die Polizei nicht bald auftaucht, müssen wir Steve noch bis nach Hause begleiten.
    Â»Meine Güte, Frau Plüm, Ihr Auge wird ja ganz dick und blau. Was ist denn mit Ihnen passiert?« Denners Stimme klingt fast besorgt, als er mich endlich mal ansieht.
    Â»Steve.«
    Â»Konnten Sie es denn nicht mit Deeskalation versuchen?«
    Â»Hab ich. Sie hätten mich ja auch mal vorwarnen können.«
    Â»Ich hätte Ihnen vielleicht sagen sollen …«
    Â»Dass der Kerl schon so einige Vorstrafen wegen Körperverletzung hat? Das weiß ich inzwischen.«
    Â»Wissen Sie, es ist einfach wichtig, dass Sie auch Jugendlichen mit Schwierigkeiten im sozialen Umgang gegenüber unvoreingenommen begegnen.«
    Â»Hat ja super geklappt. In Zukunft bin ich wohl einfach bei jedem misstrauisch.«
    Â»Das ist doch jetzt eine total destruktive Aussage. Jeder verdient eine Chance.« Nun wendet er sich an Steve: »Steve, was hältst du

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