Dann klappt's auch mit dem Doktor
Sylt. Leider ist ein Porsche kein frauengepäckfreundliches Auto, aber irgendwie passt auch mein Riesenkoffer noch rein. Auf in ein romantisches Wochenende! Ben liebt sein Porsche Cabrio, und er fährt gerne offen. Immer! Böse Zungen behaupten, er mache dies nur, um auch wirklich darin gesehen zu werden. Der erfolgreiche plastische Chirurg in seiner Angeberkarre. Die sind doch bloà neidisch. Obwohl ich meine Haare schleunigst zusammenbinde, sehen sie bereits nach einer halben Stunde aus wie ein einziger verfilzter Dreadlock. Der Fahrtwind ist so laut, dass wir uns auf dem Weg in unser Vielleicht-Glück gar nicht unterhalten können. Da sitzt er nun neben mir, mein plastischer Chirurg, in Jeans und weiÃem Arzt-Poloshirt, mit dunkler Sonnenbrille und braunen Budapestern. Mit einem leisen Lächeln auf den Lippen treibt er die Pferdestärken unter sich an. Mir fallen mindestens zehn Steine vom Herzen, als wir den Bahnhof in Niebüll lebend erreichen. Ich bin fertig mit den Nerven! Erst nach einer Weile gelingt es mir, meine in den Sitz verkrallten Hände wieder zu lösen. Ich bin völlig verspannt. Ich brauche einen Schnaps oder ein Bier oder Prosecco oder besser noch alles auf einmal. Ein Gläschen Champagner wäre auch ein angemessenes BegrüÃungsgetränk für unser Wochenende, finde ich. Ben macht, während wir auf den Autozug warten, jedoch keinerlei Anstalten, irgendetwas zu kaufen.
»Soll ich uns vielleicht mal was zu trinken holen?«, frage ich vorsichtig. Das ist seine Chance. Jetzt kann er sagen:
»Lass nur, ich mach das schon. Was hältst du zum Auftakt von einem Gläschen Schampus?!«
Im wirklichen Leben sagt er: »Hmmmm.«
Für falschen Stolz bin ich zu erledigt und besorge eine kleine Flasche Champagner und Plastiksektgläser. Vielleicht kapiert erâs ja jetzt.
»Champagner wird ja völlig überbewertet. Inzwischen bekommt man auch richtig guten Sekt beim Discounter«, lautet Bens ziemlich ernüchternde Antwort.
Aber er trinkt ihn dann trotzdem gerne. Irritiert betrachte ich während der Ãberfahrt den sonnigen Abendhimmel über dem Wattenmeer. Ich nehme mir vor, Ben nicht so unter Druck zu setzen. Er muss sich bestimmt erst mal warmlaufen. Ich sollte mich lieber einfach auf die Insel freuen! Sylt ist meine Lieblingsinsel! Meine Mädels und ich fahren, wenn möglich, einmal im Jahr für ein paar Tage dort hin, um unser Leben zu feiern und unser Weihnachtsgeld zu verprassen, wenn es denn welches gibt. Ben war noch nie auf Sylt. Er meint, im Grunde werde die Insel total überbewertet, und auf anderen Inseln könne man auch schön Urlaub machen. Das mag ja sein, aber das ist Sylt! Immerhin hat er sich ums Hotel gekümmert. Ich bin mal gespannt, wo er uns eingemietet hat. Während wir langsam vom Autozug fahren, erklärt mir Ben: »Ich habe für uns ein ganz niedliches Apartment in Westerland gefunden. Ganz in der Nähe der Fortbildung.«
Das niedliche Apartment entpuppt sich eine halbe Stunde später jedoch als winziges Gästezimmer im Dachgeschoss eines grün gekachelten Mehrfamilienhauses mitten in der Innenstadt von Westerland. Etwa zwei Kilometer weiter parkt Ben den Wagen, und ich hoffe schon, dass wir vielleicht doch nicht in dieser ScheuÃlichkeit wohnen müssen. Leider ist das mit der Unterkunft doch sein Ernst. Er hat nur so weit auÃerhalb geparkt, weil ihm der Parkplatz, den die Gäste zum Zimmer dazumieten können, zu teuer war. Ben hebt meinen Koffer aus dem Wagen und drückt ihn mir in die Hand. Dann schultert er seine kleine Reisetasche.
»Ich würde dir ja gerne mit dem Koffer helfen, aber ich muss meine Hände für meine Operationen schonen.«
»Kein Problem, der Koffer hat doch Rollen. Das schaffe ich locker«, flunkere ich und schleife mein Gepäck mühsam durch die Stadt.
Das Gästezimmer liegt im Dachgiebel, wo sogar ich mit meiner KörpergröÃe von einem Meter fünfundsechzig nur in der Zimmermitte gerade so aufrecht stehen kann. Es ist ein schmaler Schlauch von ungefähr zwölf Quadratmetern GröÃe. Es herrscht eine Bullenhitze. Die Einrichtung besteht aus einem gelbgrünen Teppich, dunkelbrauner Wandvertäfelung, zwei schlichten Holzstühlen, einem kleinen PressÂspantischchen, einer Kommode, einer Kleiderstange ohne Bügel, zwei einzelnen hintereinanderstehenden Minibetten mit guten alten, in senfgelbe
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