Dann klappt's auch mit dem Doktor
eine Ãberraschung auf mich. Das Zimmer ist ordentlich aufgeräumt. Ich kann das gar nicht glauben und befürchte schon, mich im Raum geirrt zu haben, zumal Denner nicht da ist. Keine einzige Teetasse steht mehr herum, die Oma-Pflanzen sind verschwunden, man kann die Platte von Denners Schreibtisch sehen, und die Aktenstapel sind geschrumpft und stehen auf einem Rollwagen. Auf meinem Schreibtisch liegt eine Packung Jelly Beans. Ratlos nehme ich sie in die Hand und drehe sie hin und her. Was soll das? Wer hat die dahin gelegt? Es ist die gleiche Sorte, mit der Denner mich bei meinem peinlichen Chaoseinkauf erwischt hat. Frau Goldstein kommt herein und bringt mir ein paar Schokokekse.
»Die sind von Dr. Denner«, erklärt sie mit einem Blick auf die Jelly Beans. »Das ist seine Art, sich zu entschuldigen. Auch wenn er seine Eigenheiten hat, im Grunde ist er doch ein wirklich netter Kerl.«
»Entschuldigen wofür?«
»Nun, ich denke für die Unordnung hier und dafür, dass er Ihnen gegenüber zu Beginn etwas skeptisch war und Sie in letzter Zeit zum Hospitieren verdonnert hat.«
»Und dass das nicht die feine englische Art war, ist ihm einfach so von selbst aufgegangen?«
»Natürlich«, sie zwinkert mir verschwörerisch zu, »hier ist übrigens die Liste mit den Patienten, die heute für Ihre Ambulanz anstehen.«
Ich werfe einen flüchtigen Blick darauf. Zwölf kleine Mobys warten darauf, gewogen zu werden und mir zu erzählen, wie ihre Woche so war. Einige müssen danach zu Denner, dann zur Ernährungsberatung, dann wird gesportet, und schlieÃlich kochen sie alle zusammen. Ich mag diese Sprechstunde. Erwachsene sind ab einem Body-Mass-Index über fünfundzwanzig übergewichtig, ab einem Index von dreiÃig richtig fettleibig. Bei Kindern gibt es dafür altersabhängige Normwerte. Mein Body-Mass-Index beträgt seit Jahren genau zweiundzwanzig. Das ist super. Trotzdem habe ich dank unzureichender sportlicher Aktivität, schlechter Veranlagung, was mein Bindegewebe betrifft, und häufigen Konsums von SüÃigkeiten, Chips und anderem Junk-Food meine Problemzonen. Im Vergleich zu dem, was mich gleich erwartet, bin ich jedoch eine asketisch lebende Heilige. Ich sagâs ja, ich mag diese Sprechstunde. Sie tut mir gut!
Kevins Mutter, mit einem geschätzten Body-Mass-Index von weit über vierzig, zieht sich in der Wartezone innerhalb von fünf Minuten drei Snickers rein. Ihre einleuchtende Erklärung für das Ãbergewicht ihres Sohnes: »Dat sin de Drüsen.«
Schon klar.
Pascal kommt, noch mit der leeren Burger-Tüte und einer Super-Size-Cola in den Händen, in die Sprechstunde.
»Nee, ist nicht meins. Gehört ânem Kumpel. Ich esse nur Salat, gedämpftes Gemüse und Pute und so.«
Sicher. Gewichtsstillstand auf der Waage. Wenigstens hat er nicht weiter zugenommen. So geht es in einem fort. Im Grunde sind wir momentan froh, wenn unsere kleinen Mobys nicht noch schwerer werden. Was nützt die beste Schulung, wenn der Patient eigentlich keine Lust dazu hat und das Umfeld, vor allem die Familie, ihn nicht ernsthaft unterstützt?
In der Mittagspause kommt Vera mit Kaffee und Brötchen vorbei. Weil das Wetter so schön ist, gehen wir in den Park und setzen uns dort auf eine Bank. Vera wirkt etwas bedrückt.
»Was ist los? Hast du Stress auf deiner Station?«
»Nee, das nicht. Eigentlich muss ich ja heute erst zum Spätdienst kommen, aber ich habe noch so viele Arztbriefe zu schreiben. Jetzt wühle ich mich seit heute Morgen um acht durch die Akten, um wenigstens die eiligsten Briefe irgendwie mal zu bearbeiten.«
»Dann bist du ja bis spätabends in der Klinik. Das kannâs ja auch nicht sein.«
»Ja, aber die Briefe sind wichtig. Wenn ich die nicht rausschicke, weià kein Mensch, was ich mit den Patienten gemacht habe. Das Problem ist, dass zwei Sekretärinnen aus dem Schreibbüro krank sind. Jetzt muss ich die Briefe alle selber tippen.«
»Oje, mit Zweifinger-Suchsystem dauert das natürlich Stunden.«
»Aber das ist nicht das Einzige, was mich nervt.«
»Was ist denn los?«
Vera atmet tief durch.
»Ach, ich wollte dir schon die ganze Zeit davon erzählen, weià aber nicht so ganz, wie ich damit anfangen soll.« Sie kaut nervös auf ihrer Unterlippe.
»Was? Du weiÃt doch, dass du mir alles sagen kannst.«
»Ja
Weitere Kostenlose Bücher