Dann klappt's auch mit dem Doktor
weiter. Den Weg hätte ich mir sparen können. Ich streiche meine Pause und gehe eine Runde durch die EKG -Abteilung, das Labor und die Röntgenabteilung, um wenigstens die Befunde abzufragen, die schon fertig sind. Zurück auf der Station, erwartet mich eine Traube wütender Eltern. Sie wollen wissen, was mit ihren lieben Kleinen los ist. Das wüsste ich auch gerne. Höflich versuche ich, ihnen die Situation zu erklären.
»Die Akutbehandlung Ihrer Kinder erfolgt weiterhin reibungslos, aber bis zum Eingang aller weiteren Befunde müssen Sie sich wegen des EDV -Updates bis morgen gedulden.«
»Das glaubt Ihnen doch niemand!«, brüllt eine Mutter cholerisch. »Ein EDV -Update! So ein Quatsch! In jeder vernünftigen Firma wird so was nachts gemacht. Sonst würde hier doch alles zusammenbrechen!«
Da hat sie recht! Das tut es ja auch.
»Sie können gerne eine schriftliche Beschwerde in den Patientenkummerkasten werfen«, empfehle ich ihr.
Ich ziehe mich ins Stationszimmer zurück und nehme mir einen der Schokoküsse, die dort auf dem Tisch herumliegen. In dem Moment kommt Oberschwester Marie rein: »Tut mir leid, dass ich dich störe, aber die Beschwerdezettel sind ausgegangen.«
»Und?«
»Wir brauchen neue.«
»Und?« Der Schokokuss in meiner Hand schmilzt langsam.
»Die Stationssekretärin ist seit Stunden im Archiv, die Schwesternschülerin läuft durchs Haus, um alle Proben zu verteilen, weil die Rohrpost ausgefallen ist, und wir müssen uns um die Patienten kümmern.«
»Haben die Zettel nicht noch eine Weile Zeit?«
»Du hast doch die Meute da drauÃen gesehen. Wir haben Mühe, sie einigermaÃen im Zaum zu halten.«
»Okay, ich hole welche.«
Genervt werfe ich den zermatschten Schokokuss in den Müll, wasche mir kurz die Hände und mache mich mit knurrendem Magen auf die Suche nach neuen Beschwerdezetteln. Drei Stationen später schaffe ich es, wenigstens noch eine Kopiervorlage zu ergattern. Der Kopierer funktioniert immerhin. Das ist doch schon mal was. Zurück auf der Station, bahne ich mir mühsam den Weg durch die aufgebrachten Eltern und verteile Beschwerdezettel. Dann schleiche ich mich mit einem Kaffee und ein paar Gummibärchen ins Arztzimmer. Wenn keiner weiÃ, dass ich hier bin, kann ich endlich meine Pause machen. Ich trinke gerade den ersten Schluck Kaffee, als Marie hereinkommt.
»Ach, da bist du ja. Die Entlassungen warten noch.«
»Wieso? Die Briefe habe ich heute Vormittag geschrieben und gesprochen habe ich auch schon mit allen.«
»Wir konnten die Briefe nicht mehr ausdrucken. Das Update.«
»Ach Mist. Können die nicht mal so gehen? Gib ihnen doch einen Zettel mit ihren Medikamenten mit. Wir schicken die Briefe morgen nach.«
»Wir dürfen keine Patienten ohne Brief entlassen. Anweisung vom Chef.«
Dagegen kann man nichts machen. Ich schreibe neun Arztbriefe noch einmal per Hand und esse dabei Gummibärchen. Dazu trinke ich meinen inzwischen kalten Kaffee.
Am Ende dieses extrem unergiebigen Tages habe ich Schreibkrämpfe in meiner Hand, und die wütende Elterntraube füllt fast den gesamten Flur vor dem Arztzimmer aus. Sie ist, bildlich gesprochen, zu einer ausgewachsenen Rebe geworden. Zu den Müttern sind nun, nach der Arbeit, die jeweiligen Väter hinzugekommen, zuzüglich Oma, Opa, Tante, Onkel und wem auch immer. Ich möchte nach Hause. Ich habe seit über einer Stunde Feierabend und muss meinen Vortrag fertigmachen.
Ich öffne die Zimmertür einen Spaltbreit und werfe vorsichtig einen Blick in den Gang. Das sind einfach zu viele. Wenn ich jetzt da rausgehe, wird mich die Meute mindestens zwei Stunden beschäftigen und im Zweifelsfall sogar lynchen. Da wird auch patientenorientierte Kommunikation nichts nützen. Ich setze mich wieder an meinen Schreibtisch und starre ratlos aus dem Fenster. Ewig zu warten, bis sich die Aufregung da drauÃen von selbst gelegt hat, wird mir auch nichts bringen.
Da fällt mein Blick auf den schmalen Balkon, der als Fluchtweg das gesamte Stockwerk umschlieÃt. Etwa zwei Meter von meiner Balkontür entfernt, noch auf Höhe des Schwesternzimmers, führt eine Feuerleiter nach unten. Das ist es! Um die Meute kann sich genauso gut der Diensthabende kümmern.
Geduckt schleiche ich über den Balkon und klettere die Feuerleiter hinunter. Die endet jedoch leider viel zu
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