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Dann mach ich eben Schluss

Dann mach ich eben Schluss

Titel: Dann mach ich eben Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Fehér
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preisgegeben hatte. Deshalb tat ich etwas, das ich sonst nie mache, schon gar nicht, wenn ich jemanden noch nicht lange kenne: Ich habe ihm meine Sammlung gezeigt, den Ordner mit den Gräberfotos und den Todesanzeigen dazu, die ich seit meiner Blutvergiftung sammle, an der ich fast gestorben wäre. Ich wollte Max etwas zurückgeben, weil er mir so vieles anvertraut hat, um ihm zu zeigen, dass ich mich dadurch nicht belastet, sondern beschenkt fühle. Ganz kurz habe ich überlegt, ob ich zu viel von mir preisgebe und er vielleicht komisch über mich denken würde, aber ich hatte ein gutes Gefühl. Max hat sich richtig auf die Anzeigen und Bilder gestürzt, wollte alles über die Verstorbenen wissen, woran sie gestorben sind, wie die Beerdigung war usw. Vor allem natürlich, warum ich das alles aufgehoben habe, also habe ich ihm von meiner knapp überstandenen Krankheit erzählt. Damals, mit Dario in Marokko, wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, ich würde mich durch das Tattoo an einer x-beliebigen Straßenecke in Gefahr bringen. Ich war verknallt und habe mich im Überschwang der Gefühle wohl für unsterblich gehalten. Aber unsterblich ist niemand. Als es mir so dreckig ging, habe ich panische Angst vor dem Tod bekommen, die ich nicht mehr loswerde. Die Traueranzeigen sind das Mittel, mit dem ich versuche, alles zu verarbeiten. Das alles habe ich versucht, Max klarzumachen, und ich glaube, er hat es verstanden. Auf jeden Fall hat er nicht über mich gelacht, im Gegenteil: Diese Nähe zwischen uns, die gestern schon da war, schien heute noch zu wachsen. Noch lange haben wir in dem kleinen Hinterzimmer der Gärtnerei auf dem alten, abgenutzten Sofa gesessen und geschwiegen, aber es war kein unangenehmes Schweigen, aus dem man sofort fliehen möchte, sondern hatte etwas Friedliches, Tröstliches, für uns beide. Wir haben uns an den Händen gehalten und uns gegenseitig gestreichelt, nur im Gesicht und in den Haaren. Max sagte, er wäre gern so zuversichtlich wie ich, und ich würde Stärke ausstrahlen. Dann hat er mich geküsst, so sanft und zärtlich, wie ein Junge nur küssen kann. Viel gefühlvoller als Dario, ehrlicher. Ich wusste sofort, es ging Max nicht um eine Eroberung oder darum, sich irgendetwas zu beweisen, sondern ihm ging es wirklich um mich. So wie ich bin. Für Max muss ich nicht aussehen wie ein Topmodel und mich nicht kleiden wie eine Schaufensterpuppe. Er mag mich in meiner Arbeitslatzhose und mit Blumenerde unter den Fingernägeln. Es hat so gut getan. Ein neuer Mensch ist in mein Leben getreten, zu dem ich offenbar eine ganz besondere, tiefe Beziehung haben kann. Unglaublich. Es fühlt sich ganz unglaublich an.
    18. April
    Inzwischen kommt Max fast jeden Tag zu mir in den Laden. Manchmal nur kurz, dann wirkt er unruhig und gehetzt, als hätte er Angst, sein Pensum nicht zu schaffen, was ihm durch die Schule und seinen Vater aufgebrummt worden ist. Ich habe ihm schon gesagt, dass es nicht schlimm ist, wenn er sich zwischendurch auch mal einen ganzen Nachmittag und Abend nur aufs Lernen konzentrieren will, aber da sah er mich ganz entsetzt an und sagte, nein, nein, auf jeden Fall wolle er kommen, so oft es nur geht, er wäre so gern hier bei mir. Er ist so süß. Ich freue mich ja auch immer, wenn er da ist, und es rührt mich zu sehen, wie sehr er jede Minute genießt. Bei der Arbeit mit den Blumen hängt er sich immer noch rein, als müsse er einen Preis gewinnen. Er ist so anders als alle Jungs, die ich kenne; die meisten hätten spätestens am dritten Tag die Lust verloren. Max dagegen ist immer motiviert.
    Manchmal mache ich mir Sorgen um ihn. Wenn er so ruhelos wirkt, fast übertrieben fleißig ist und trotzdem den Eindruck erweckt, als sei er auf der Flucht oder müsse sich beeilen, weil es noch so viele Dinge gibt, die er schaffen will. Er blickt sich dann immer verstohlen um, als ob er Angst hätte, jemand könnte ihn bei mir sehen und ihm unangenehme Fragen stellen. An solchen Tagen bleibt er auch nicht so lange wie sonst. Bestimmt steckt sein Vater dahinter, der vielleicht nicht wissen darf, dass Max so oft zu mir kommt.
    Aber die Gespräche mit Max sind schon toll. Wir reden oft über den Tod, und er hat zugegeben, dass er sich schon mal vorgestellt hat, wie es wohl sein muss, nicht mehr zu leben. Ich fand das ganz schaurig, weil ich gespürt habe, dass etwas in ihm steckt, das

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