Dann mach ich eben Schluss
sich nach dem Tode sehnt. Natürlich mag ich es an ihm, dass wir so intensiv miteinander reden können â endlich mal ein Junge, der nicht nur von schnellen Autos, Computerspielen oder Sport quatscht. Mit Max könnte ich stundenlang reden, und jedes Mal kommt es mir dabei vor, als würden wir uns schon ewig kennen. Aber seine Todessehnsucht beunruhigt mich, weil ich das Gefühl habe, wirklich tot sein will er gar nicht. Es gibt nur zu vieles in seinem Leben, das ihn unglücklich macht, und deshalb wünscht er sich ein anderes. Ich will ihm dabei helfen, wenn ich kann. Max ist 18, da ist doch das Leben noch nicht vorbei, auch wenn er unter seinem ehrgeizigen Vater leidet. Ich habe versucht, ihm das klarzumachen, indem ich ihm erzählt habe, wie ich selber um mein Leben gerungen habe. Das hat ihm gefallen und imponiert, und ich wünsche mir so sehr, dass ein bisschen von diesem Kämpfergeist, den ich ihm dabei vermitteln wollte, auch wirklich auf ihn abfärbt. Max beneidet mich darum, dass ich sogar gestärkt daraus hervorgegangen bin und nur noch das mache, was mir auch wirklich guttut, so wie die Arbeit in der Gärtnerei, die ich einem trockenen Bürojob hundertmal vorziehe, der meinen Eltern für mich vorschwebte. Wenn man am eigenen Leib zu spüren bekommt, wie schnell das Leben zu Ende sein kann, ist man nicht mehr so leicht bereit, immer nur das zu tun, was andere von einem erwarten. Max soll das Leben führen, das er wirklich will und nicht seines wegwerfen. Ich will alles tun, damit er die Kraft dazu findet. Er ist es wert, es ist so angenehm, so entspannend, mit ihm zusammenzusein, weil ich merke, dass er meine Gegenwart genieÃt, statt mich fortwährend ändern zu wollen, so wie es Dario letztlich getan hat. Max würde gar nicht auf die Idee kommen, er ist so sanft, so dankbar. Er akzeptiert sogar meine Macke, Traueranzeigen zu sammeln. Mich beunruhigt daran nur, dass ihn die Bilder der frischen Gräber zu faszinieren scheinen.
20. April
Will ich mit Max richtig zusammen sein? Das habe ich mich immer öfter gefragt, seit ich ihn kennengelernt habe. Herzklopfen habe ich auf jeden Fall, wenn er kommt. Und wenn er nicht in meiner Nähe ist, muss ich pausenlos an ihn denken und habe schon angefangen, wie ein Teenie ständig mein Handy nach SMS von ihm zu checken. Aber noch nie haben wir darüber gesprochen, ob wir jetzt ein Paar sind. Max wünscht es sich bestimmt. Und ich?
Seit meiner Trennung von Dario hatte ich noch keine feste Beziehung. Was er mir angetan hat, möchte ich nicht noch einmal erleben, auch wenn ich weiÃ, dass es ungerecht ist, von ihm auf andere zu schlieÃen. Es hat zu wehgetan, ich bin einfach vorsichtig geworden. Wenn man lebensgefährlich erkrankt ist, braucht man Menschen um sich, die einen vorbehaltlos lieben und zu einem stehen. Nur so kann man die Kraft aufbringen, durchzuhalten und um das eigene Leben zu kämpfen. Man schafft das nicht gut, wenn man allein ist. Als ich mir nach dem Tattoostechen in Marokko die Blutvergiftung zugezogen habe, hat Dario die meiste Zeit durch Abwesenheit geglänzt, mich kaum im Krankenhaus besucht, und als er endlich mal auftauchte, weil ich mich nach Hause verlegen lassen wollte, meinte er nur, er wolle seinen Urlaub nicht abbrechen, schlieÃlich hätten wir geplant, sechs Wochen zu bleiben. Mit »wir« meinte er also nicht mehr unbedingt sich und mich. Ich flog zurück und habe lange gebraucht, bis ich wieder ganz fit war. Vor allem aber habe ich meinen Freund vermisst, mit dem ich reden wollte. Ãber meine Todesangst, als ich die besorgten Blicke der Ãrzte und Schwestern sah. Die Gedanken, die mich vor allem nachts nicht zur Ruhe kommen lieÃen. Die Einsamkeit im Krankenzimmer. Aber auch über den unbedingten Willen zu leben wollte ich sprechen. Darüber, was das Leben bedeutet, warum ich so daran hing, dass ich auf keinen Fall kampflos aufgeben wollte, nur wegen ein paar Bakterien, die in meinem Körper wüteten. Darüber, was der Tod ist und warum wir ihn so fürchten. Dario war nicht der Richtige dafür â er hat nicht gespürt, wie sehr ich mich durch die Krankheit verändert habe und was für Gedanken und Fragen in mir tobten. Er wollte mich möglichst schnell wieder so haben, wie er mich vorher gekannt hatte; abenteuerlustig, draufgängerisch, freiheitsliebend. Dass ich in Lebensgefahr geschwebt hatte, klammerte er völlig aus,
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