Dann mach ich eben Schluss
Seine Frau nimmt ihren Löffel wieder auf. »Vergiss wenigstens nicht, dich noch mal zu kämmen, bevor du gehst, deine Locken sehen aus, als wärst du durch einen Orkan gejoggt. Aber was glaubst du, macht es auf deine Kollegen für einen Eindruck, wenn du in ihrer Mitte aufkreuzt, obwohl du noch bis nach den Sommerferien krankgeschrieben bist? Nachher glaubt dir keiner, wie es wirklich um dich steht. Du weiÃt, wie schnell es immer heiÃt, man würde blau machen, gerade unter Lehrern.«
»Ich gehe nur zur Dienstbesprechung, die Kollegen sind mich also gleich wieder los. Ansonsten sollen sie mich nur darauf ansprechen, dann werde ich es erklären. Vom Herzinfarkt über den Burn-out bis hin zu der Ãberlegung, in den vorzeitigen Ruhestand zu gehen. Für den einen oder anderen mag das ein heilsamer Warnschuss sein, besser auf sich zu achten. Ansonsten geht es heute nicht um mich, sondern um meinen Schüler Maximilian Rothe, den ich sehr geschätzt habe. Ich möchte meiner Trauer um ihn Ausdruck verleihen und sehen, ob ich dazu beitragen kann, dass sich so etwas nicht wiederholt.«
Nach diesen Worten bestreicht er sich eine weitere Brötchenhälfte mit Butter und Honig und frühstückt zu Ende, indem er vom Thema ablenkt und seine Frau in ein Gespräch über ein aktuelles politisches Ereignis verwickelt, obwohl er spürt, dass sie sich nicht darauf konzentrieren kann. SchlieÃlich tupft er sich den Mund mit einer Serviette ab, geht ins Bad und verabschiedet sich wenig später von Marianne.
Als Werner Brückner eine knappe halbe Stunde darauf das Lehrerzimmer betritt, ist sein Kollegium bereits fast vollständig versammelt. Er vernimmt ein verwundertes Raunen und erntet erstaunte Blicke, als er nach einem ernsten, aber nicht unfreundlichen Gruà seinen üblichen Platz ansteuert und noch im Gehen feststellt, dass dieser bereits von einem jüngeren Kollegen besetzt ist, den er noch nicht kennt. Dieser sieht ihn aufmerksam an und erhebt sich halb, um den Platz freizugeben, Brückner fällt auf, wie schmal und klein der Mann wirkt, was er offenbar durch besonders gediegene Kleidung und straff nach hinten gekämmtes Haar zu kompensieren versucht. Als einer der wenigen Kollegen im Raum trägt er nicht den eher saloppen Freizeitlook, wie ihn die meisten Lehrer bevorzugen, sondern ein korrekt gebügeltes Hemd zur Bügelfaltenhose. Auf seinem Sakko haben sich Haarschuppen abgesetzt. Brückner winkt ab.
»Bleiben Sie sitzen«, bittet er den Unbekannten. »Irgendwo wird sicher noch ein Plätzchen für mich frei sein. Ich war für heute nicht angekündigt, verstehen Sie.«
»Bollschweiler, mein Name«, sagt der andere und reicht ihm die Hand. Auch Brückner nennt seinen Namen, dann bemerkt er seine Kollegin Irina Melberg, die ihm von einem Platz an der Ecke des langen Tisches aus zuwinkt und auf einen freien Stuhl neben sich deutet, während sie rasch etwas in die Tastatur ihres geöffneten Netbooks eingibt. Dankbar nimmt Brückner Platz. Im selben Augenblick betreten der Schulleiter Herr Gaedicke und die Oberstufenkoordinatorin Frau Hauff sowie der Konrektor Herr Krüger den Raum, nicken in die Runde, sortieren Papiere auf ihren Plätzen an der Stirnseite des Tisches, reden leise miteinander.
»Du hier?«, flüstert Irina Melberg, nah zu Brückner vorgebeugt. »Du bist doch noch krankgeschrieben, oder?«
Brückner nickt.
»Sven Bollschweiler, der auf deinem Platz sitzt, ist übrigens deine Dauervertretung.«
»Dachte ich mir fast«, gibt Brückner zurück. »Wirkt ein bisschen kühl auf mich, aber wenigstens ist er jung. Ich hoffe, die Schüler mögen ihn.«
»Die Meinungen sind geteilt, soweit ich das zwischen Tür und Angel mitbekommen konnte«, informiert ihn Irina. »Auf jeden Fall ist er gefürchtet. Durchsetzen kann er sich.«
Brückner hebt die Augenbrauen, er spürt seinen Herzschlag bis in die Halsschlagader pulsieren, unregelmäÃig, stolpernd.
»Für Maximilian könnte es dann schwierig gewesen sein. Er braucht Vertrauen zu seinen Lehrern. Im Idealfall schlieÃt eines das andere nicht aus â ich hoffe, dass es so gelaufen ist.«
Ein energisches Schlagen mit einem Kugelschreiber gegen einen Kaffeebecher unterbricht die Gespräche im Lehrerzimmer.
»Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie sehr herzlich zu unserer letzten
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