Dann mach ich eben Schluss
eines Oberstufentutors ein etwas anderes. Immerhin befinden wir uns an einem Gymnasium, das man mit Recht als Eliteschule bezeichnet und nicht in der staatlichen Grundschule einer Hochhaussiedlung, wo sich mehr Sozialarbeiter und Schulpsychologen tummeln als in einer jugendpsychiatrischen Klinik. Im Abschlussjahrgang eines gut angesehenen Gymnasiums besteht unsere Aufgabe in der Wissensvermittlung und darin, die Schüler auf das Studium an einer Universität oder Akademie vorzubereiten. Alles andere ist vergeudete Zeit, wie es Ihnen offenbar auch Maximilians Vater versucht hat zu verdeutlichen. Jeglicher Kuschelkurs in dieser Phase der schulischen Laufbahn ist völlig fehl am Platze und wird sich spätestens dann rächen, wenn die Damen und Herren in der Uni scheitern, weil dort keiner mehr fragt, ob sie vielleicht lieber Bildchen malen möchten als zu lernen.«
»Es geht nicht darum, Bildchen zu malen «, erwidert Brückner, um Fassung bemüht. »Mit einer kreativen Begabung kann man sehr wohl einiges erreichen, das Leben besteht nicht nur aus Buchstaben und Zahlen. Unsere Aufgabe als Lehrer ist es auch, die Talente unserer Schüler ernst zu nehmen und sie zu ermutigen, den für sie richtigen Weg einzuschlagen. Wäre die Kunst für Maximilian nur ein Hobby gewesen, hätte er nicht daran verzweifeln müssen, dass sein Vater für ihn eine Laufbahn als Mediziner, Manager oder Jurist vorgesehen hatte. So aber war es für ihn eine Katastrophe.«
»Was Sie schildern, ist dennoch eher die Aufgabe der Studien- und Berufsberatung«, gibt Krüger, der Konrektor, zu bedenken. »Ihr Engagement in allen Ehren, aber da sollten und müssen wir nicht vorgreifen. Das ist Sache der Eltern, mit ihren Sprösslingen zu besprechen, wie es nach dem Abitur weitergehen soll, und in der Regel werden solche Anlaufstellen dann auch gemeinsam aufgesucht.«
Zwei Lehrerinnen, die die ganze Zeit miteinander getuschelt haben, unterbrechen ihr Gespräch und nicken.
»Hier geht es um reine Wissensvermittlung«, bemerkt eine von ihnen, die Chemielehrerin Liedtke, eine schlanke Frau mit akkurat geschnittenem Bob und gestreifter Bluse. »Und ich finde, damit haben wir wahrlich genug zu tun. Immerhin sind wir Studienräte, und ich übertreibe sicher nicht, wenn ich behaupte, unser Arbeitspensum ist um einiges höher als das der Kollegen in Grund- und Oberschulen. Die Abiturphase hat mich dieses Jahr wieder so geschlaucht, dass die sechs Wochen Sommerferien kaum ausreichen werden, um mich zu regenerieren. Die Halbjahresklausuren, das schriftliche Abitur, die mündlichen Prüfungen ⦠und das ist ja nicht alles, der normale Unterricht geht ebenfalls weiter, die anderen Klassen müssen auch zu ihrem Recht kommen. Das kann sich ein AuÃenstehender alles gar nicht vorstellen â fragen Sie mich nicht, wie viel meine Familie in der letzten Zeit von mir hatte. Eigentlich müsste ich an die Sommerferien eine Kur anschlieÃen, aber gut, ich übernehme jetzt eine neunte Klasse, da geht es nicht. An mich selbst zu denken kann ich also wieder mal aufschieben. Was ich damit sagen will ist: Wir können nicht auch noch jedem Schüler einzeln die Zukunft planen. Mit dem Unterricht, den Prüfungen und Korrekturen, Vor- und Nachbereitungen sowie Elternabenden und Klassenfahrten ist das, was wir an Arbeit leisten können, mehr als ausgeschöpft. Sonst droht uns allen irgendwann ein Burn-out.«
Beifälliges Klopfen auf die Tischplatte von allen Seiten gibt der Lehrerin Bestätigung, nur Irina verdreht die Augen und fährt sich mit der Hand durch ihre kurzen hellbraunen Locken.
»Niemand verlangt, dass du mehr arbeiten sollst«, lenkt sie ein. »Aber wenn ein Schüler jahrelang im falschen Leistungskurs sitzt, ist er bestimmt keine Entlastung. Du schleifst ihn mit, versuchst ihn zu fördern und zu fordern, die Korrekturen seiner Arbeiten rauben dir den letzten Nerv â¦Â«
»Ich schlage vor, wir verkürzen die Diskussion an dieser Stelle«, wirft Herr Gaedicke dazwischen und blickt unter gehobenen Brauen auf seine Armbanduhr. »Einige weitere Tagesordnungspunkte liegen noch vor uns, und angesichts Ihrer angeschlagenen Gesundheit, lieber Herr Brückner, wollen wir Sie nicht unnötig strapazieren oder gar aufregen. Weitere Wortmeldungen?«
Irina Melberg schiebt ihr Netbook so, dass das Display zur Schulleitung zeigt.
»Sie
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