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Dann mach ich eben Schluss

Dann mach ich eben Schluss

Titel: Dann mach ich eben Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Fehér
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Abiklausur?«
    Bollschweiler fährt sich mit der Hand übers Gesicht, Werner Brückner sieht Schweißperlen auf seine Stirn treten und auch unter den Achseln seines schicken hellblauen Hemds haben sich Flecken gebildet. Im Raum herrscht angespannte Stille.
    Â»Maximilian hat die Frechheit besessen, mir ein leeres Blatt abzugeben«, sagt er. »Nicht eine einzige der gestellten Aufgaben hat er auch nur versucht zu lösen. Es handelte sich um eine totale Leistungsverweigerung. Null Punkte, Sechs, Ofen aus. Ich muss nicht extra betonen, dass mich sein tragischer Tod selbstverständlich dennoch außerordentlich erschüttert.«
    Brückner nickt, atmet aus, er fühlt sich müde. So vieles ist offenbar schiefgelaufen, während er krank war, Maximilian hätte ihn gebraucht, und er war nicht da. Er muss Bollschweiler nur ansehen, um zu wissen, dass Max mit ihm nicht klargekommen sein kann. Bollschweiler mag ein fachlich kompetenter Lehrer sein, aber vom pädagogischen Ansatz her genau das Gegenteil von seiner eigenen Überzeugung. Es konnte nur schiefgehen. Wenn nur der verdammte Infarkt nicht gewesen wäre, denkt er. Mit den anderen Belastungen wäre ich schon fertiggeworden; dem Gefühl jeden Morgen beim Klingeln des Radioweckers, nicht aufstehen zu können. Der Atemnot schon unter der Dusche. Der Appetitlosigkeit beim Frühstück und der Unfähigkeit, von den Schlagzeilen der Morgenzeitung auch nur eine Zeile aufnehmen zu können. Der Unbeweglichkeit in den Minuten, bevor ich wirklich los musste. Wie ich an meinem Platz am Frühstückstisch kleben geblieben bin und die Vorstellung, sechs oder sieben Stunden Schule durchstehen zu müssen, sich wie Blei an meine Füße und in meinem Kopf festsetzte. Nach dem Gespräch mit Maximilians Vater ging nichts mehr. Er seufzt.
    Marianne hatte oft genug geschimpft, er solle endlich einmal an sich denken und nicht nur an die Arbeit. Wenn er auf die inneren Warnsignale gehört und rechtzeitig die Notbremse gezogen hätte, wäre vielleicht Schlimmeres verhindert worden. Maximilian hatte ihm schon lange Sorgen gemacht, mit ihm schien alles schiefzulaufen. Er wollte ihn nicht aufgeben, Maximilian vertraute ihm. Brückner konnte sich nicht krankmelden. Erst mit dem Herzinfarkt zog sein Körper die Reißleine. Du kannst nicht alle retten, hatte Marianne gesagt. Nach dem Abi muss er sowieso ohne dich seinen Platz in der Welt finden. Jetzt kommt er nicht mehr zurück.
    Â»Es nicht einmal zu versuchen, sieht Maximilian überhaupt nicht ähnlich«, sagt er schließlich. »Er hat sich immer bemüht, hat eingesehen, dass es notwendig ist. Dass jeder Punkt zählt. Ich mache mir Vorwürfe, bin so erschüttert. Er hätte nicht sterben müssen, Max hatte noch so vieles vor in seinem Leben. Hatte eigene Pläne, aber offenbar zu wenig Menschen um sich, die ihn dabei unterstützten.«
    Niemand wagt etwas darauf zu erwidern. Brückner kämpft mit den Tränen, er bemüht sich, es zu verbergen, doch sein Kinn beginnt unkontrollierbar zu zittern. Er verbirgt sein Gesicht in den Händen und lässt es zu, dass das Schluchzen ihn schüttelt, sollen sie es ruhig sehen, er ist eben keine Maschine, genauso wenig wie die Schüler, der Facebook-Eintrag hat es schon richtig ausgedrückt.
    An der Stirnseite des Tisches räuspert sich Krüger.
    Â»Ich denke, da wir Maximilian ohnehin leider nicht mehr helfen können, sollten wir nun unser Augenmerk darauf richten, wie wir mit unseren Schülerinnen und Schülern umgehen, die uns in einer guten halben Stunde mit ihrer Trauer und ihren Fragen entgegentreten werden«, versucht er dem Gespräch eine neue Richtung zu geben. »Werden wir eine Gedenkfeier für Maximilian veranstalten? Eine Schweigeminute einlegen? Ich bitte um Ihre Vorschläge.«
    Â»Gedenkfeier – nein«, bestimmt Gaedicke. »Das wühlt alles nur unnötig weiter auf, und wir wissen nicht, ob die Situation nicht vielleicht außer Kontrolle geraten könnte. Einige Schülerinnen sind ja sehr sensibel. Zudem wird in etwa acht bis zehn Tagen die Beisetzung stattfinden, und es steht jedem frei, daran teilzunehmen. Ich werde dafür nicht einmal eine Beurlaubung einfordern – es sei denn, die Familie Maximilians besteht darauf, ihren Sohn und Bruder im engsten Familienkreis auf seinem letzten Weg zu begleiten. Zuvor eine fast identische

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