Dann mach ich eben Schluss
einem Kopfverband, oben schauen die dunklen Haare heraus. In der Vene des linken Handrückens steckt noch ein Zugang, sie versinkt fast in dem weiten Kliniknachthemd. Die Augen geschlossen, die Lippen trocken und blass.
Natürlich ist sie es.
Natalie wendet den Kopf, öffnet die Augen.
»Mama.«
»Ich bin hier, SüÃe. Wir sind beide bei dir.«
Es würgt Natalie im Hals, sie versucht den Kopf zu heben, instinktiv greift Corinna nach der nierenförmigen Schale auf dem Nachttisch und hält sie ihrer Tochter unters Kinn, es kommt nur gelblicher Schaum. Danach stöhnt sie leise und bettet ihren Kopf wieder auf das Kissen. Matthias holt zwei Stühle heran.
»Wo ist Max?«, fragt Natalie leise. Ganz ohne Kraft. Ihre Augen verraten, dass sie es weiÃ.
4.
Nächte, die nur mit Beruhigungsmitteln überstanden werden. Tagsüber Telefonate, immer wieder erzählen, was sie selbst nicht begreifen. Mit den Formalitäten beginnen. Auch Maxâ Freunde Paul und Annika hat es böse erwischt. Ihre Eltern kommen vorbei, sprechen ihr Beileid aus. In ihren Gesichtern nicht nur Mitgefühl.
Sie wissen inzwischen: Max hatte nichts getrunken und auch sonst keine Stoffe im Blut, die seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt hätten. Max trinkt nie etwas, wenn er fährt, aber das macht es nicht leichter, sondern lässt noch mehr Fragen unbeantwortet.
Nach drei Werktagen muss Matthias wieder in die Firma. Corinna rettet sich über die Vormittage, um nachmittags bei ihrer Tochter zu sein, so bekommen die Tage eine Struktur. Sie hat abgenommen.
Nachts liegen sie oft wach, fallen nur hin und wieder in einen leichten Schlummer. Wenn einer sich bewegt, weckt er den anderen mit auf.
»Kannst du dir vorstellen, dass er das mit Absicht getan hat?« fragt Corinna ihren Mann etwa eine Woche nach dem Unglück, im Dunkeln an die Decke starrend. Die Tabletten hat sie abgesetzt, nachdem Matthias wieder angefangen hat zu arbeiten. Sie wolle nicht zugedröhnt am Krankenbett ihrer Tochter sitzen, hat sie gesagt. Dafür schläft sie nachts noch schlechter als vorher, aber das nimmt sie in Kauf.
»Maximilian? Warum sollte er? Er hatte doch alles«, gibt Matthias zur Antwort. Er hat im Bett die FüÃe aufgestellt, seine Knie ragen wie Berge in die Luft.
»Nach auÃen hin, sicher«, bestätigt sie. »Aber weiÃt du, wie es in dem Jungen ausgesehen hat? Niemand kann das wissen.«
»Hör mal, Corinna, ich kenne doch meinen Sohn. Max war ein begabter Junge, wenn er auch immer etwas unter seinen Möglichkeiten geblieben ist, er hatte eine intakte Familie und eine schnuckelige Freundin aus gutem Hause. So was wie einen Freundeskreis gab es auch, jedenfalls Paul hat immer seine Nähe gesucht.«
»Aber in der Schule hatte er Probleme. Meist ist das doch ein Indiz für tiefer liegende Schwierigkeiten.«
»Schwierigkeiten, was heiÃt Schwierigkeiten«, wiederholt Matthias gereizt. »Er war das Opfer einer oder mehrerer unfähiger Lehrer, wenn du mich fragst. Gut, Maximilian hatte diese Flausen im Kopf von wegen Zeichenkünstler werden, aber letzten Endes siegte doch seine Vernunft. Es gab doch nichts, worüber er sich wirklich hätte beklagen können.«
»Ich weià nicht, ob es so einfach ist. Ich halte Herrn Brückner nicht für einen schlechten Lehrer; er kann sich bei den jungen Leuten durchsetzen, meint es aber trotzdem gut mit ihnen, und das spüren sie. Max hat immer gut von ihm gesprochen.«
»Brückner kann nicht erklären. Sonst hätte Maximilian den Stoff begriffen.«
»Er mag Mathe einfach nicht, ist überhaupt kein Zahlenmensch. Das haben wir beide doch immer gewusst. Max hat schon als Kind lieber gemalt und gezeichnet als über kniffligen Rechenaufgaben zu brüten.«
»Das mag sein. Aber Mathematik ist nun einmal eines der Hauptfächer, und ohne solide Kenntnisse darin kommt man nicht durchs Leben. Mathe brauchst du immer, egal in welchem Beruf.«
»In vielen Branchen genügen solide Grundkenntnisse. Max taugt nicht zum Spezialisten in der Zahlenwelt.«
»Deswegen bringt sich aber niemand um.«
»Dafür gibt es nie nur einen Grund. Aber wenn ich so zurückblicke, hat er darunter am meisten gelitten.«
»Die Schule ist eben nicht nur Zuckerlecken«, entgegnet Matthias. »Das mussten wir doch alle lernen. Mir ist der Lernstoff auch nicht zugeflogen, ich
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