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Dann mach ich eben Schluss

Dann mach ich eben Schluss

Titel: Dann mach ich eben Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Fehér
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wir das, ich möchte es zu Hause über meinem Schreibtisch haben. Dann begleitet mich die Erinnerung an Max, wenn ich meine Unterrichtsvorbereitungen und Korrekturen mache.«
    Â»Du willst wieder arbeiten?«
    Â»Mit sechsundfünfzig fühle ich mich noch zu jung, um mich zur Ruhe zu setzen, aber ich werde nach dem Hamburger Modell mit einer geringen Stundenzahl anfangen und mich langsam steigern. Oder ich gehe in die Erwachsenenbildung, um junge Lehrer anzuleiten.«
    Â»Aha.« Seine Frau sieht ihn erstaunt an. »Wie kommst du plötzlich auf diesen Gedanken?«
    Brückner lehnt sich zurück und trinkt einen tiefen Schluck des vor ihm stehenden schwarzen Tees.
    Â»Ganz einfach«, antwortet er. »Ich bin an diesem Herzinfarkt nicht gestorben, weil der liebe Gott mir noch eine Aufgabe gegeben hat. Die, den Nachwuchspädagogen zu vermitteln, dass Autorität und Durchsetzungsvermögen nicht zwangsläufig Härte und Kälte bedeuten müssen. Ich habe also noch viel vor.«

Die Eltern: Corinna Rothe, 41 Jahre, und Matthias Rothe, 46 Jahre
    14. Juni, im Morgengrauen
    1.
    Â»Matthias? Matthias, ich glaube es hat geklingelt. Gehst du an die Tür?«
    Â»Hmm.«
    Â»Matthias, bitte. Es ist nicht mal fünf Uhr früh und das am Samstag, sieh doch bitte schnell nach, wer das ist.«
    Â»Haben die Kinder den Schlüssel vergessen …«
    Â»Das kann nicht sein. Max ist gefahren, sein Hausschlüssel hängt mit an seinem Schlüsselbund fürs Auto. Außerdem vergisst er ihn nie, und Natalie hat auch ihre Tasche bei sich, da hat sie ihren immer drin. Wenn am Wochenende um die Uhrzeit jemand klingelt …«
    Â»Ich geh schon.«
    Â»Mal sehen, ob ich vom Fenster aus erkennen kann, wer das um Himmels willen ist.«
    Â»Warum bist du denn schon so wach, hast du wieder kein Auge zugetan, solange die Kinder nicht heimgekommen sind?«
    Â»Matthias, das ist die Polizei.«
    Â»Es ist besser, wenn Sie sich setzen.«
    Â»Sicher sind wir die Eltern, ja. Maximilian? Da irren Sie sich gewiss, er und seine Schwester sind noch auf einer Feier, sie müssen jeden Augenblick zurückkehren. Hören Sie nicht das Auto heranfahren? … Doch nicht, Entschuldigung.«
    Â»Maximilian? Oh mein Gott …«
    Â»Wir sind ganz sicher. Es tut mir sehr leid. Davon raten wir Ihnen ab; behalten Sie Ihren Sohn so in Erinnerung, wie Sie ihn zuletzt gesehen haben. Wünschen Sie psychologischen Beistand oder einen Arzt?«
    Â»Ihre Frau wird noch ein bisschen schlafen. Bleiben Sie bei ihr. Die Gerichtsmedizin gibt Ihnen Bescheid, sobald der Leichnam zur Bestattung freigegeben ist.«
    2.
    Schockstarre. Auf dem Sofa sitzen, aneinandergeklammert, blass und schweigend. Das stille Morgengrauen ist in das erbarmungslose Sonnenlicht eines der längsten Tage im Jahr übergegangen. Für Tränen ist alles noch zu weit weg. Zu nah, um Hunger oder Durst zu verspüren. Irgendwann ein Schluck Wasser. Komm, Liebes, du musst.
    3.
    Â»Wir müssen zu Natalie«, sagt Corinna am späten Nachmittag. »Die Schwester am Telefon hat gesagt, sie ist jetzt wach, die Wirkung des Schlafmittels, das sie ihr nach all den Untersuchungen gegeben haben, lässt nach. Sie braucht uns jetzt.«
    Sind die weißen Fäden in Matthias’ Haaren über Nacht gekommen? Die Linien zwischen Nase und Mund tiefer geworden, die Haut um seine Augen ein Nest aus unzähligen Falten? Seine Hände greifen das Lenkrad so fest, dass die Fingerknöchel weiß hervortreten.
    Vor dem Krankenhaus einen Parkplatz suchen. Aussteigen, eingehakt auf den Eingang zustreben, mit festem, zügigem Schritt. Etwas tun. Ein auffrischender Wind fährt unter den langen Saum von Corinnas Bluse, es ist noch mal die von gestern, beide sind noch gar nicht in Schwarz gekleidet. Sie presst ihre Handtasche dagegen.
    Der Geruch nach Putzmitteln und Desinfektion.
    Â»Natalie Rothe? Heute eingeliefert, im dritten Stock, die Unfallchirurgie. Zimmer 327.«
    Â»Vielen Dank.«
    Nimm meine Hand.
    Mit dem Fahrstuhl nach oben. Im Flur ahnungslose Blicke durch sie hindurch, Krankenhausalltag, Schwestern mit ihren Routineaufgaben, Blumensträuße in den Händen anderer Besucher. Dass diese Welt sich überhaupt weiterdrehen kann. 324, 325, 326. 327. Zaghaftes Anklopfen, lautloses Eintreten. Das ist sie nicht, dieses schmale weiße Gesicht, gehalten von einer dicken Halskrause, umwickelt mit

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