Dann mach ich eben Schluss
konntest du! Zuerst dieser Vertrauensbruch, dich ohne mein Wissen an einer Fachoberschule zu bewerben, wo du mich immer hast glauben lassen, du würdest zielstrebig auf das Abitur an deinem von uns sorgsam ausgewählten Gymnasium zustreben? Das war ungeheuerlich, Max, so etwas tut man nicht heimlich, sondern bespricht sich mit den Eltern! Solche Entscheidungen geben die Richtung des ganzen Lebens vor, in einer guten Familie plant man das gemeinsam! Wir gehören doch zusammen, Max, denkt er. Ich wollte, dass ein Mann aus dir wird, bestärken wollte ich dich. Dir helfen, jemand zu werden, der im Leben etwas erreichen kann, erfolgreich ist, einen angesehenen Beruf ergreift. Das schafft man doch nicht mit Träumereien, Max, ich wollte dir die Welt zeigen, wie sie wirklich ist. Niemand hatte etwas gegen dein Hobby, kein Mensch wollte dir das Malen verbieten, aber damit kann man doch nicht den Lebensstandard halten, den ich dir und deiner Schwester biete. Ich wollte, dass du einmal Frauen beeindrucken kannst, dass ein Mädchen wie Annika mit dir angeben kann, auch wenn die Frauen heute alle unabhängig sind und ihr eigenes Geld verdienen, so wie deine Mutter es auch bald wieder tun wollte. Frauen mögen es, wenn ein Mann nicht auf der faulen Haut liegt, sondern etwas leistet. Das Leben anpackt. Was ist so falsch daran, Max, ich verstehe es nicht?! Warum musstest du deinem Leben ein Ende setzen, statt dich hineinzustürzen? Warum?
Noch lange tigert Matthias durch die Wohnung, seine Gedanken drehen sich im Kreis. Doch am nächsten Morgen muss er pünktlich im Büro sein, also schleicht er sich, sobald er sein Bier ausgetrunken hat, zurück ins Bett. Im Halbschlaf sucht Corinna nach seiner Hand.
5.
»Wieder ein Tag ohne ihn«, seufzt Corinna am Morgen. »Ich kann nicht begreifen, dass es für immer sein soll.«
»Wir müssen versuchen, nicht zu verzweifeln«, erinnert Matthias sie. »Schon für Natalie. Bis sie entlassen wird, sollten wir uns halbwegs im Griff haben. Vielleicht hilft es, wenn wir allmählich anfangen, Maxâ Zimmer aufzuräumen.«
»Mit aufräumen meinst du hoffentlich nicht leer räumen«, wirft sie ein. »Das Zimmer sieht aus, als wäre er nur mal kurz rausgegangen. Ich bin noch nicht so weit.«
»Schon gut.« Er drückt ihr einen Kuss auf die Schläfe. »Ich wollte dich nicht drängen. Natürlich hat es noch Zeit.«
Es hilft Corinna, so oft wie möglich bei Natalie im Krankenhaus zu sein, die sich körperlich schnell erholt; auÃer einer schweren Schädelprellung fehlt ihr erstaunlicherweise nichts. Immer wieder sprechen sie über den Abend, an dem Max ums Leben gekommen ist, versuchen zu rekonstruieren. Max war über irgendetwas wütend, es hat Streit gegeben mit Paul, ganz kurz bevor sie losgefahren sind.
»Sein Blick, Mama«, sagt Natalie immer wieder. »An den erinnere ich mich. Max war nicht mehr erreichbar.«
Corinna spürt, wann es ihrer Tochter zu anstrengend wird. Dann versuchen sie, über Alltägliches zu reden, was ihnen mal besser, mal schlechter gelingt. Corinna sehnt den Tag herbei, an dem Natalie entlassen wird, gleichzeitig fürchtet sie ihn jedoch, weil der feste Plan, sie zu besuchen, ihrem Tag und ihrer Woche ein Ziel gegeben hat, einen festen Ablauf. Wenn Natalie wieder auf den Beinen ist, wird sie rasch ihre frühere Eigenständigkeit zurückerobern wollen.
Maxâ Beerdigung übersteht Corinna nur mit Hilfe von starken Beruhigungsmitteln und indem Matthias sie unablässig stützt und hält. Die vielen Menschen, der Anblick des Sarges vor dem Altar in der Kirche, die Ansprache des Pfarrers und die Musik, die unzähligen Beileidsbekundungen, all die Blumen, Kränze und Gestecke, das alles ist viel zu viel für sie; sie nimmt alles nur wie hinter einem dichten Nebelschleier wahr, dämmert den Rest des Tages in ihrem Bett vor sich hin, während Matthias versucht, wenigstens ein paar Beileidskarten zu beantworten.
Einige Wochen später beginnen sie, ab und an Maximilians Zimmer zu betreten.
»Wenn wir nur irgendetwas finden«, meint Corinna. »Irgendetwas, das uns einen Hinweis gibt, warum das alles passiert ist. Ich werde noch verrückt, weil mir immer wieder dieselben Fragen durch den Kopf geistern.«
Zuerst geht Corinna allein an die Aufgabe heran, vormittags, wenn auÃer ihr niemand zu Hause ist. Sammelt Maxâ
Weitere Kostenlose Bücher