Dann mach ich eben Schluss
ich?
Annika: Bei mir klingelte heute der Paketbote und brachte mir eine Papprolle. Zuerst wusste ich überhaupt nicht, was ich davon halten sollte, hatte ja nichts bestellt. Aber als ich dann auf den Absender sah, traf mich fast der Schlag. Es war Post von Natalie.
Paul: Eine Papprolle? Also kein Brief, keine Karte oder so?
Annika: Nein, ein zusammengerolltes Bild. Eine Zeichnung war drin. Von Max.
Paul: Natalie hat dir das Original von dem Porträt geschickt, das auf seiner Facebook-Seite als Profilbild zu sehen ist?
Annika: Nein, ich bin drauf. Er hat mich gezeichnet.
Paul: Erzähl.
Annika: Ich kann es kaum in Worte fassen, bin völlig durcheinander. Das Bild sagt irgendwie alles aus, das hat mir jetzt richtig die Augen geöffnet. Ich glaub, ich hab alles falsch gemacht mit Max.
Paul: Glaub ich zwar nicht, aber wie kommst du darauf? Hat er dich als Hexe gezeichnet?
Annika: Das ist nicht witzig, Paul. Das Bild ist toll geworden, aber es sagt viel darüber aus, wie er mich gesehen hat. Es ist eine Bleistiftzeichnung, aber kein Porträt, sondern ich bin ganz darauf. Und zwar als Roboter.
Paul: Roboter? Dann bist du es nicht.
Annika: Es ist schwer zu beschreiben, verflixt. Gesicht und Haare sind so gezeichnet, als ob ich drauÃen stehe, irgendwo an der frischen Luft, mit einer leichten Windbewegung im Haar. Aber der Körper, Arme und Beine sind die eines Roboters. Richtig aus Metall und mit Schrauben usw.
Paul: Krass. Bist du sicher, dass es dich darstellen soll?
Annika: M eine Gesichtszüge erkennt man auf den ersten Blick.
Paul: Aber wieso als Roboter? Du bist das lebendigste Mädchen, das ich kenne.
Annika: Ich glaube, ich weiÃ, was Max damit meint. Ich bin viel zu mainstream. Modische Klamotten, Songs aus den neuesten Charts, Deutsch-Leistungskurs, fester Freund, noch keine Idee für das Leben nach der Schule. Nichts Aufregendes, aber immer dabei, immer auf der sicheren Seite, ein Mädchen ohne Ecken und Kanten. Angepasst und im Grunde langweilig.
Paul: Ich fand dich noch nie langweilig.
Annika: Du verstehst nicht, worum es geht. So wie ich war, wollte ich auch Max haben. Ich hab ihn viel zu wenig ernst genommen.
Paul: Ã bertreib nicht. Du warst lieb zu ihm.
Annika: Was heiÃt das schon? Ich habe mich viel zu wenig für ihn interessiert, für seine Kunst, seine Ziele. Dabei war das was ganz Besonderes. Ich hätte ihn viel mehr unterstützen müssen, statt nur an ihm rumzumeckern.
Paul: Hast du so viel gemeckert? Hab ich nicht mitbekommen.
Annika: Wenigstens habe ich mich bemüht, es nicht vor anderen zu machen, aber wenn wir allein waren, habe ich öfter auf ihn eingeredet. An seinem Kleidungsstil etwas auszusetzen gehabt, ihm andere Hobbys vorgeschlagen, eben solche Sachen, wie alle Jungs sie machen und die als cool gelten. Total bescheuert von mir. Und so was von oberflächlich.
Paul: Du hast es gut gemeint.
Annika: Eben nicht. Es ging mir dabei nicht um Max. ICH wollte, dass mein Freund in ist. Dazugehört, zum harten Kern. Ich wollte keinen Sonderling, weil ich nicht begriffen habe, dass allein in dem Wort schon der Begriff »besonders« steckt. In meiner Blindheit wollte ich, dass er so ist wie alle.
Paul: Dann hätte er es manches Mal leichter gehabt.
Annika: Mag sein, aber wenn ich zu ihm gestanden hätte, so wie er war, wäre er mehr wahrgenommen worden. Mit seinen Bildern, seinen Zielen, seinem ruhigen, tiefen Charakter. Dann hätte er sich entfalten können.
Paul: Seine Bilder hängen überall in der Schule aus. Fast in jedem Flur läuft man an ihnen vorbei. Es ist also nicht so, dass sie nicht wahrgenommen wurden.
Annika: Ja eben, man läuft vorbei. Oder bleibst du etwa stehen, um sie dir genauer anzusehen? Hast du mit ihm über die Bilder gesprochen? Darüber, was er sich bei dem einen oder anderen gedacht hat, als er es malte?
Paul: Max wusste, dass ich finde, er kann gut malen. Das kann ich selber nicht. Früher hat er manchmal heimlich für mich die Bilder in Kunst gemalt, wenn ich es nicht hinbekommen habe.
Annika: Siehst du, das ist auch so ein Beispiel. Max wurde von allen ausgenutzt, aber von niemandem ernst genommen. Man muss sich nur die Kommis auf seiner Gedenkseite durchlesen. Viele haben ihn nicht mal bemerkt â nicht mal du und ich.
Paul: Dafür warst du aber lange mit ihm zusammen. Und ich war auch für ihn da, wenn er mich brauchte.
Paul stöhnt. Sie hat recht, denkt
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