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Dann mach ich eben Schluss

Dann mach ich eben Schluss

Titel: Dann mach ich eben Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Fehér
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höchstens die Eltern. Den Vater kann er sich schlecht dabei vorstellen. Er verscheucht aus seinen Gedanken, was er ahnt.
    Paul: Hast du auch was drauf gelegt?
    Sie ist noch voller Trauer um ihn, beschwört er sich selbst. Nur indem ich einfühlsam auf sie eingehe, kann ich sie gewinnen.
    Annika: Einen Strauß rote Rosen. Aber ich kam mir blöd dabei vor, weil das ganze Grab auch ohne ihn schon so toll aussieht. Der schönste Strauß müsste der von mir sein, aber es ist gestaltet wie ein Beet aus einem Märchen. Rosa Rosen, Männertreu, dazwischen Margeriten und eine Sonnenblume, die neben dem Holzkreuz steht, als würde sie alles erleuchten. Meinen Strauß habe ich in eine Vase gesteckt und dicht daneben gestellt. Er fiel kaum auf.
    Paul: Max wird es zu schätzen wissen, ganz sicher.
    Annika: Glaubst du daran, dass er uns sieht?
    Paul: Es ist tröstlich, sich das vorzustellen. Seine Mutter denkt bestimmt ebenso, deshalb drückt sie ihre Liebe in der üppigen Blütenpracht aus.
    Annika: Ich glaube eher, das wird vom Friedhof gemacht und die Familie zahlt nur dafür. Kurz bevor ich am Grab war, habe ich selbst gesehen, wie eine Friedhofsgärtnerin es gerade harkte und Unkraut entfernte. Sie hat auch die Rosenbüsche von abgestorbenen Blüten befreit und alles gegossen.
    Paul: Steht irgendwas auf dem Kreuz?
    Annika: Das ist ganz nüchtern. Nur sein Name mit Geburts- und Sterbedatum. Maximilian Rothe, nicht etwa Max.
    Paul: Alles ganz korrekt.
    Annika: Sie hätten wenigstens »unvergessen« oder so drauf schreiben lassen können. Aber das kommt hoffentlich später auf den Grabstein.
    Paul: Bist du lange geblieben?
    Annika: Eine Viertelstunde vielleicht. Mir ist schwindlig geworden, als ich Max’ Namen auf dem Kreuz las, fast wäre ich umgekippt. In dem Moment war plötzlich alles so real. Das hat mich getroffen wie eine riesige Druckwelle.
    Paul: Kann ich verstehen. Wenn ich draußen bin, will ich unbedingt auch hin. Das bin ich Max schuldig.
    Annika: Weißt du inzwischen, wann du entlassen wirst?
    Paul: Dauert noch. Ich hoffe, ich werde keine bleibenden Schäden zurückbehalten. Das zeigt sich erst nach der OP, wenn sie die Schrauben und Platten rausholen. Weil ich noch jung bin und bisher alles gut heilt, kann es schon in drei Wochen so weit sein.
    Annika: Klingt doch super. Ich muss jetzt off, der Besuch am Grab hat mich echt geschafft. Ich geh heute früh schlafen. Gute Nacht, Paul.
    Paul: Ja, ruh dich aus. Gute Nacht.
    Klingt doch super, denkt er. Du hast gut reden, Annika.
    Pauls achtzehnter Geburtstag ist der erste, an dem er ohne dieses kribbelige Glücksgefühl aufwacht, das Geburtstage oft auch dann noch begleitet, wenn man kein Kind mehr ist. Die Nacht ist früh vorbei, der Wecker auf seinem Handydisplay zeigt erst kurz nach vier, als er die Augen aufschlägt und durch die zugezogenen, aber hellen Vorhänge beobachtet, wie das tiefe Dunkelblau der Nacht allmählich einem hellen Grau weicht. Achtzehn, denkt er, so bist du nun also volljährig geworden. Wie hast du auf diesen Tag gewartet, Paul, monatelang darauf hin gefiebert, und jetzt ist er da, ausgerechnet so. Eine Riesenparty wolltest du feiern, mit allen Freunden und Bekannten, mit jedem, den du einigermaßen gut leiden kannst. Der Sekt sollte fließen, du wolltest es richtig krachen lassen, tanzen, feiern, Spaß haben. Natalie sollte mit »Keep Out« auftreten, stattdessen schickt sie Annika eine Zeichnung, die nur dazu führt, dass sie sich weiter von dir entfernt. Statt einer Party liegst du hier, zerschmettert und allein, hast deinen besten Freund verloren und bist auch noch selber schuld daran, zumindest teilweise. Volljährig sein heißt bei dir nicht, in die Freiheit zu starten, wie es eigentlich gedacht war. Du hast ein super Abi in der Tasche, das ist gerade noch geschafft, aber dennoch heißt achtzehn zu sein bei dir: zurück zum Nullpunkt. Nichts ist mehr so wie es war. Max ist tot. Herzlichen Glückwunsch, Paul, und alles Gute.
    Er weint.
    Um sechs Uhr kommt die Krankenschwester und gratuliert ihm mit ihrem festen, souveränen, zuversichtlichen Ton, drückt ihm die Hand, wuschelt ihm durch die Haare wie einem kleinen Jungen. Mit dem Gehwagen schleppt er sich zum Waschraum, kurz darauf bringt ihm die Küchenhilfe zum Frühstück ein Stück Kuchen zusätzlich zu seinen zwei Brötchen, stellt ein Teelicht im Glas auf

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