Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dann mach ich eben Schluss

Dann mach ich eben Schluss

Titel: Dann mach ich eben Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Fehér
Vom Netzwerk:
hättest du mich Kunst als Leistungsfach wählen lassen sollen. Da stehe ich auf Eins und bin Bester meines Jahrgangs.«
    Â»Kunst. Für ein Medizin- oder Jurastudium, ja? Mein Gott, Maximilian, ich muss dir doch nicht erst sagen, dass das Hirngespinste sind.«
    Â»Du hast vom Notendurchschnitt geredet. Mit Mathe kann das bei mir nichts werden, ich hab schon die Erklärungen in der Schule nicht verstanden.«
    Â»Schlimm genug. Aber wie wäre es mit Nachfragen gewesen?«
    Â»Es war zu wenig Zeit, diese Aufgaben kamen erst kurz vor der Pause dran.«
    Â»Und einen Klassenkameraden, der mehr Durchblick hat als du? Paul, zum Beispiel? Der hatte bestimmt keine solche Ladehemmung. Gleich in der Pause hättest du es dir von ihm erklären lassen können, oder ihn zu dir nach Hause einladen.«
    Â»Morgen frage ich Herrn Brückner«, entgegne ich, ohne auf seine Frage nach Paul einzugehen. »Ich will den Stoff ja auch verstehen.«
    Â»Morgen, morgen.« Mein Vater lehnt sich zurück, reißt erneut am Knoten seiner Krawatte. Soll er sie doch ablegen, dann käme er auch nicht rüber, als wäre er auch in unserer Wohnung immer noch der Topmanager. Das hier ist sein Zuhause. Immerhin schaltet er nach einem hektischen Blick auf das Display sein Smartphone aus.
    Â»Wenn ich in meinem Leben immer alles auf morgen verschoben hätte, wäre ich vielleicht Tomatenzüchter geworden«, poltert er. »Dann hätten wir aber keine geräumige Stuckaltbauwohnung, du würdest längst in die Lehre gehen und mitverdienen, genau wie deine Schwester das früher oder später tun müsste, ganz zu schweigen von eurem Musikunterricht und all den Sonderwünschen, die ich euch sonst noch erfüllen darf. Wenn man etwas im Leben erreichen will, muss man sich reinhängen, Junge! Reinhängen, nicht träumen! Das muss ein Abiturient doch kapieren, so schwer kann das nicht sein.«
    Â»Ich habe sonst keine Probleme in der Schule, Papa«, untertreibe ich. Alles muss er nicht wissen, noch kann ich mich verbessern, in Physik zum Beispiel oder Politik, darin schleife ich auch ein wenig hinterher. »Es sind wirklich nur diese Aufgaben, die einfach nicht in meinen Kopf wollen. Mit meiner Arbeitshaltung ist Herr Brückner zufrieden, genau wie die anderen Lehrer.«
    Â»Dann liegt es an seinen offenbar mangelhaften Fähigkeiten, den Stoff zu vermitteln.« Mein Vater schiebt das Ringbuch von sich wie einen leer gegessenen Teller, der ihn anwidert. »Das ist mir ohnehin schon lange klar.« Er zieht sein Smartphone aus der Tasche seiner Anzughose und schaltet es wieder ein, trommelt mit den Fingern auf dem Display herum, während das System hochfährt, ruft danach den Kalender auf. »Sag bitte dem werten Herrn gleich morgen, dass ich ihn sprechen möchte. Wie organisiere ich das am besten … genau. Am Donnerstag, also übermorgen, hätte ich im Anschluss an ein kleines Geschäftsessen in der Mittagspause noch ein Zeitfenster, das ich mir freischaufeln kann. Vierzehn Uhr dreißig, und etwa eine knappe halbe Stunde. Richte ihm das bitte aus.«
    Ich klappe das Ringbuch zu und lege meinen Stift zurück in meine zerschlissene und bemalte Schlamperrolle, sofort bemerke ich seinen geringschätzigen Blick. Zum letzten Geburtstag hat er mir ein Schreibset geschenkt, ein Etui aus feinstem Kalbleder, der Füller und Kugelschreiber darin versilbert, das Zeug muss mehr als hundert Euro gekostet haben. Ich benutze es nicht, es liegt noch fast unberührt in meiner Schreibtischschublade. In der Schule käme ich mir damit albern vor.
    Â»Hast du gehört, Maximilian?«, beharrt mein Vater. Ich stehe auf und räume meine Sachen zusammen.
    Â»Ich frage ihn, ob er da Zeit hat«, murmele ich widerstrebend, obwohl es mir jetzt schon unangenehm ist. Ich will nicht, dass mein Vater Herrn Brückner aufsucht, der mein Lieblingslehrer ist. Wenn ich Mathe nicht kapiere, liegt das nicht an ihm, sondern an mir. Ich will weder Medizin noch Jura studieren, auch das bestimmt er einfach so für mich. Wenn ich nur daran denke, sehe ich mein Leben vor mir wie eine lange Fahrt durch grauen, dichten Nebel, der sich auch durch die steigende Vormittagssonne nicht auflöst, bis ich irgendwann an einem Ziel bin, das ich nicht erreichen wollte und ohne vorher links und rechts von meinem Weg etwas Schönes wahrgenommen zu haben. Ich will das nicht. Ich will

Weitere Kostenlose Bücher