Dann mach ich eben Schluss
aufschreibe, ob ich grüble und rechne oder nur nachdenke und träume, eine Tätigkeit, der ich mich jetzt nur zu gern hingeben würde. Das eintönige Prasseln des Regens gegen die Fensterscheiben verstärkt meine Schläfrigkeit, die mich schon den ganzen Nachmittag lang herunterzieht, deshalb habe ich auch noch kaum etwas geschafft. Ich kapiere diese Aufgaben nicht, und ich kann nicht mal behaupten, dass ich sie kapieren will. Sie sind zu schwer für mich, ich kann Mathe nicht. Für manches ist man einfach nicht geboren.
Wieder sein Räuspern.
»Ich höre nichts«, sagt er, jetzt bleibt er stehen. »Kann es sein, dass du seit einer geschlagenen Stunde da sitzt und nicht eine einzige Ziffer aufgeschrieben hast?«
Ich lege meinen Fineliner hin.
»Wenn du die ganze Zeit dabei bist, kann ich mich nicht konzentrieren.«
»So wie du da sitzt, konzentrierst du dich den ganzen Tag schon nicht.«
»Das ist nicht wahr. Es blockiert mich nur, wenn ich die ganze Zeit beim Lernen beobachtet werde und nicht in Ruhe überlegen kann. In meinem Tempo.«
»In deinem Tempo, das kann was werden. Lass sehen.« Wieder diese Schritte, StraÃenschuhe auf dem Parkett, auch ohne mich umzudrehen, weià ich, dass er seinen Körper erneut strafft, Haltung bewahrt, sein weiÃes Hemd sitzt auch nach seinem langen Tag im Büro noch korrekt, nur den Schlips hat er ein wenig gelockert. Von hinten greift er an mir vorbei und nimmt meinen Ringbuchblock hoch, starrt darauf, sein rechter Daumen pocht so rhythmisch auf das Blatt wie vorher seine Schritte meine Arbeitsruhe zerrissen haben, poch, poch, poch. Saubere Finger, korrekt gefeilte Nägel, genau wie sein akkurat geschnittenes braunes Haar, der zu wenig trainierte, aber dennoch schlanke Körper. Wir haben die gleichen schmalen Nasen und kleine, weiÃe Zähne im Mund, nur meine Augen sind blau und seine braun. Trotzdem bemerkt jeder, der uns zum ersten Mal zusammen sieht, wie ähnlich wir uns doch sähen. Ich will das nicht, deshalb habe ich meine Haare wachsen lassen und trage sie lässig in die Stirn fallend statt kurz wie er, und nie würde ich auf die Idee kommen, so geschniegelt herumzulaufen. Meine übergroÃen Sweater, weiten Jeans und ausgetretenen Sneaker haben ihn schon oft aufgeregt.
»Das ist Kinderkram, Maximilian«, bemerkt er schlieÃlich und legt das Ringbuch wieder vor mir auf den Tisch, rückt sich einen Stuhl zurecht und setzt sich neben mich. Mit der flachen Hand stöÃt er mich gegen die Schulter, gerade noch zu sanft, als dass ich behaupten könnte, er hätte mich geschlagen. Sein Mund hat sich zu einem geraden Strich verschmälert, eine Mischung aus Ungeduld und Enttäuschung darin. Diese Enttäuschung, die mir manchmal fast den Verstand raubt. Natürlich möchte ich, dass mein Vater stolz auf mich sein kann, jeder Junge wünscht sich das. So stolz wie Pauls Vater es ist, der seinen Sohn zu jedem Empfang, jeder Messe mitnimmt und seinen Kollegen und Geschäftspartnern präsentiert, nicht ohne ihm vorher noch neue Klamotten und einen Friseurbesuch zu spendieren. Deshalb bemühe ich mich ja, das Abi möglichst gut hinzubekommen, aber ich habe immer das Gefühl, nicht gut genug zu sein, dem Ziel hinterherzurennen wie der Esel dem Heuballen, der vor seinem Maul aufgehängt wird, damit er schön brav den Karren zieht. Nur um nicht diesen bitteren Zug um seine Mundwinkel zu sehen, eine winzige Regung nur, aber ich kenne ihn so gut, ich weià genau, was diese minimale Veränderung in seiner Mimik bedeutet, und ich versuche alles, um dies nicht sehen zu müssen, denn es könnte nicht schlimmer sein, wenn er mich anherrscht und in unserer Wohnung mit den Türen knallt.
»Wach doch mal auf, das hier ist wirklich nicht so schwer. Stochastik, das baut doch alles nur auf der früher schon gelernten Wahrscheinlichkeitsrechnung auf, oder etwa nicht? Wenn ich mich recht erinnere, habe ich solche Aufgaben in der zehnten Klasse gerechnet und nicht erst so kurz vor dem Abi. Und Mathe ist dein Leistungsfach, Maximilian. Wo hast du nur deinen Kopf?«
»Die Stochastik meine ich nicht. Was ich nicht kapiere, sind die Kurvendiskussionen. Diese ganze Infinitesimalrechnung, das kann ich einfach nicht. Später brauche ich das alles sowieso nie wieder.«
»Einen vorzeigbaren Notendurchschnitt im Abi brauchst du aber.« Er runzelt die Stirn.
»Dann
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