Dann muss es Liebe sein
Blutuntersuchung gekommen sind?«, wechselt Emma das Thema. »Seine Schilddrüsenhormonwerte sind wahnsinnig hoch – trotz der Tabletten, die du ihm gibst. Du gibst sie ihm doch regelmäßig, oder?«
»Natürlich gebe ich sie ihm regelmäßig – na ja, meistens jedenfalls«, füge ich schuldbewusst hinzu, weil ich nicht unbedingt die gewissenhafteste Tierhalterin der Welt bin. »Deswegen verstehe ich die Ergebnisse ja auch nicht«, sage ich stirnrunzelnd. »Eigentlich ist das unmöglich.«
»Was hältst du von einer Operation?«
»Zu riskant.«
»Du könntest ihn zur Radioiodtherapie überweisen.«
»Ich soll ihn wegschicken? O nein, das kommt nicht infrage.« Ginge war fast wild, als ich ihn zu mir genommen habe, und es hat viel Zeit und Mühe gekostet, sein Vertrauen zu gewinnen. Das will ich nicht aufs Spiel setzen. »Außerdem würde ihn die Behandlung wahrscheinlich umbringen.«
»Weißt du, wie du dich gerade anhörst?«, fragt Emma kichernd. »Wie einer dieser unvernünftigen Kunden, über die du dich immer beschwerst. Natürlich würde er die Behandlung überstehen.«
»Ich bin trotzdem nicht davon überzeugt, dass es das Beste für ihn wäre«, widerspreche ich etwas verärgert. »Ich muss erst darüber nachdenken.«
»Aber nicht zu lange – du musst heute Nachmittag hier mit Drew die Stellung halten. Ben hat es geschafft, mir einen Ultraschalltermin zu besorgen. Es ist alles in Ordnung – dem Baby geht es gut«, sagt Emma, als ich den Mund öffne, um nach dem Grund zu fragen. »Ich bin das Problem – Gluckensyndrom«, fügt sie scherzhaft hinzu, und ich verstehe, warum sie so nachsichtig auf Drews Fehler reagiert hat. Wenn sie nicht schwanger wäre, wenn sie ihn nicht dringend als Vertretung brauchte, hätte sie ihn rausgeworfen.
»Versprich mir, ein Auge auf Drew zu haben, solange ich weg bin«, fährt sie fort. Es ist auch meine Praxis, schon vergessen?, liegt mir auf der Zunge, aber Emma wendet sich schon wieder dem Baby zu.
»Ben und ich hätten gerne, dass du die Patentante wirst, Maz. Na ja, eher Patin ohne Tante, wie auch immer.« Sie legt die Hände um ihren Bauch. »Na, was sagst du?«
»Liebend gerne. Danke, Em.« Ich fühle mich geehrt. Stolz. Es hat mich noch nie jemand gebeten, die Patin seines Kindes zu werden. Religion liegt bei uns nicht unbedingt in der Familie – wie so vieles andere. Ich stehe auf und muss mich mit einer Hand am Schreibtisch festhalten. Mir ist ein bisschen schwindlig – das Frühstück ist schon eine ganze Weile her.
»Möchtest du etwas aus dem Supermarkt?«, erkundige ich mich. »Ich laufe kurz rüber und hole mir ein Sandwich.«
»Ach, hast du ein kleines Flattern im Magen? Flattern – du verstehst?«
»Nun reicht’s aber langsam mit den Vogelwitzen.« Ich verdrehe die Augen.
»Ach, waren es so viele? Ist mir gar nicht aufgefallen.« Emma kichert. »Danke für das Angebot, aber mein Mittagessen steht schon im Kühlschrank – Nudelsalat und ein Joghurt. Keine Donuts mehr. Ich habe mich heimlich auf die Waage am Empfang gestellt, als niemand in der Nähe war, und mich hat fast der Schlag getroffen, als ich gesehen habe, wie schwer ich geworden bin.«
»Ist das nicht das Baby?«
»Ein Baby legt nicht innerhalb weniger Wochen sechs Kilo zu.« Sie schneidet eine Grimasse und sieht auf die Uhr. »Ich sollte mich lieber beeilen – Ben kann jeden Moment da sein. Er holt mich ab.«
»Viel Glück«, sage ich, und erfreut darüber, dass ich noch weiß, was sie von ihrer letzten Ultraschalluntersuchung erzählt hat, füge ich hinzu: »Ich hoffe, diesmal wärmen sie das Gel vorher an.«
Emma steht auf und umarmt mich, ehe wir zusammen an den Empfang gehen. Ben wartet schon draußen auf dem Parkplatz, und sie geht hinaus. Frances winkt mich zu sich herüber an den Tresen.
»Was ist denn jetzt schon wieder?«, frage ich, und mein Tonfall klingt scharf und gereizt, obwohl ich das überhaupt nicht beabsichtigt hatte. Ich will mich entschuldigen, aber ich bringe kein Wort heraus, und während ich auf sie zugehe, fühlen sich meine Beine so schwer an, als würde ich durch zähen Sirup waten. Frances’ wallendes Oberteil verschwimmt vor meinen Augen, mein Körper beginnt zu glühen. Plötzlich dreht sich alles, immer schneller und schneller wie eine Fahrt im Freizeitpark. Halt suchend strecke ich die Hand aus, doch ich greife ins Leere. Die Farben werden trüb, erst grau, dann schwarz …
… und ich erwache auf einem der Plastikstühle im Wartebereich.
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