Dann press doch selber, Frau Dokta!: Aus dem Klinik-Alltag einer furchtlosen Frauenärztin (German Edition)
umgekehrt. Oder ganz anders.
Geburten sind wie Überraschungseier: Man weiß nie, was man bekommt! Vielen Männer stellt sich in diesem Moment lediglich die Frage, wer eigentlich ihre Frau gegen dieses völlig fremde Wesen eingetauscht hat und ob das jetzt für immer so bleibt. Keine Sorge, liebe Männer, spätestens am Tag nach der Entbindung bekommt ihr eure »alte« Frau zurück. Versprochen!
Gloria ruft mich, als der Wechsel der Persönlichkeit schon vollzogen ist: Frau Jungblut liegt wimmernd und mit wirrem Haar auf dem großen, runden Kreißbett – wie eine Schiffbrüchige auf ihrer Rettungsinsel –, während die Hebamme beruhigend auf die junge Frau einredet.
Gloria und ich haben schon viele Geburten gemeinsam zu Ende gebracht. Und wie ein altes Ehepaar müssen wir auch nicht mehr viele Worte wechseln, um einander zu verstehen. Hier ein Nicken, da ein Blick – damit ist alles gesagt.
In der nächsten Wehe schwillt das Wimmern der kleinen, zarten Frau zum frustrierten Stöhnen an, während sich ein dunkel beflaumter Hinterkopf behäbig durch den Scheidenausgang ans Licht schiebt. Der Damm ist hoch, ausgewalzt und beginnt sich gerade weißlich zu färben – JETZT könnte man schneiden, denke ich automatisch –, muss man aber nicht. Ich schau zu Gloria rüber, sie blickt zurück, schüttelt fast unbemerkt den Kopf und greift zum altbewährten Damm-Massageöl.
In vielen Kliniken wird gerne mal vorschnell in die Geburt eingegriffen, will sagen: Es wird gerne bei den Wehen nachgeholfen, von oben gedrückt, von unten gezogen oder auch mal geschnitten. Ich hingegen bin ein großer Anhänger der »Wir-lassen-Hebamme-und-Kind-erst mal-machen«-Methode. Die Frau hat ihren Job schließlich auch gelernt. Außerdem bringt überzogenes Eingreifen meist nichts – außer gestresste Kinder und traumatisierte Mütter. Deshalb lasse ich die Schere brav liegen und die Hebamme machen. Und Gloria leitet routiniert und souverän an. Lässt das Köpfchen langsam tiefer treten und in der Wehenpause – gut gehalten – im Scheidenausgang stehen, damit das Dammgewebe auch Zeit hat, sich an die immense Kraft zu gewöhnen, die der kindliche Kopf mit seinen im Schnitt 35 Zentimetern Umfang ausübt. So geleitet bekommen wir dann auch nach wenigen Presswehen ein fittes, ungequältes Kind über intaktem Damm! Ein ziemlich gutes Ergebnis für unsere zierliche Erstgebärende, die da immerhin einen stattlichen Vier-Kilo-Brocken rausgepresst hat!
Was für eine schöne Geburt! Alles rund, alles stimmig, alles schön. Und als ich dann so zufrieden und ausgeglichen über meinen Geburtspapieren hänge, da fällt es mir just wieder ein – warum es ausgerechnet die Gynäkologie hat sein müssen: Weil ich es immer noch und immer wieder großartig und aufregend finde, mitzuerleben, wie so ein kleines Wesen geboren wird. Weil es immer gleich und doch jedes Mal ganz anders ist. Weil der Adrenalinspiegel auch heute noch kurz die Obergrenze sprengen kann, wenn das Köpfchen über den Damm ploppt und man weiß: Jetzt ist es gleich geschafft – oder die Katastrophe am Himmel …!
Und genau deshalb werde ich wohl auch über das nächste Jahr hinweg noch meine Nerven, Muskeln und Bandscheiben ruinieren – um abends im dämmrigen Kreißsaal zuzuschauen, wie eine Hebamme und eine Schwangere gemeinsam ihren Weg gehen …
Mütterlicher Einsatz im Schullandheim-Verabschiedungskomitee
Es ist Sonntagabend, und der Countdown zum ersten Urlaubstag läuft rückwärts. Träge vor mich hinsinnierend, liege ich bei weitgeöffnetem Fenster in meinem Dienstbett und denke nach.
Ich bin jetzt in Woche 15 dieser unfassbar ungeplanten Schwangerschaft angelangt, und übel wird es mir eigentlich nur noch dann, wenn mir urplötzlich wieder einfällt, dass Herr Chaos ja immer noch nichts von seinem Glück weiß. Unserem Glück. Dem Glück eben. Es war aber auch wie verhext die letzten Wochen – einer von uns beiden kam immer spät heim oder hatte immer Dienst oder musste immer zum Elternabend, Tierarzt, Kinderarzt, den Rasen mähen … Kurz und gut – es wird jetzt langsam Zeit. Schließlich kann ich den Gatten schlecht in Woche 40 zum Kreißsaal zitieren: » Schbaaaatzl – kommal schnell – Bäääääbie!« Ich muss ein bisschen vor mich hingrinsen bei diesem Kopfkino – meine Patientinnen sind offensichtlich nicht der geeignete Umgang für mich …
Noch während ich also so daliege und die Gedanken in meinem Kopf ein bisschen von
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