Dann press doch selber, Frau Dokta!: Aus dem Klinik-Alltag einer furchtlosen Frauenärztin (German Edition)
anderen Kollegen verteilt. Dass ich meinen Eingriff nicht zu Ende führen durfte, fällt unter persönliches Pech und lässt die OPs der Kollegen unberührt. Fazit für heute: zwei für die nächsten Tage völlig wertlose, weil durch das Assistieren der Hysterektomie übelschmerzende Oberarme sowie zwei OPs im Minus. Setzen, sechs, Josephine – ein klassischer Tag zum In-die-Tonne-Treten!
Während ich also zwei Stunden lang damit beschäftigt bin, mich von oben bis unten klatschnass zu schwitzen – bei defekter Klimaanlage und gefühlten 130 Grad Kitteltemperatur –, hormonell bedingt schon ab Minute 5 im OP dringend pinkeln muss, meine Oberarmmuskeln wie Feuer brennen und mich die Schwangerschaftsübelkeit schier umbringt – habe ich ausreichend Zeit, über den limitierenden Faktor im Showbiz nachzudenken: Ich bin zu alt für den Scheiß!
Ächt jetzt: Eigentlich bin ich fit! Körperlich gesehen. Okay, wenn ich nicht gerade schwanger bin, dann bin ich wirklich fit! Ich laufe vierzig Kilometer die Woche, gehe regelmäßig mit dem Hund raus und strampele auf dem Fahrrad schon mal locker von hier nach da. Früher war ich sogar mal Leistungssportlerin – Leichtathletik! Jahrelang erster Kader. Und auch wenn ich jetzt ein bisschen in die Jahre gekommen bin – da geht noch was! Aber nach zwei Stunden Hakenhalten in anatomisch nicht nachvollziehbarer Stellung denk ich gerne ans Abtreten. Im eigentlichen und übertragenen Sinne! Dann frag ich mich zum wiederholten Male, warum es ausgerechnet die Gynäkologie hat sein müssen – ein durchschnittlicher Internist bekäme bereits nach einer simplen Gebärmutterausschabung vier Wochen Reha verschrieben. Die brechen ja schon zusammen, wenn sie zwei Patienten in Folge mit dem Stethoskop abhören müssen. Warum hätte es nicht auch so eine Weichei-Fachrichtung sein können? Oder Radiologie? Radiologen müssen nichts halten, was schwerer als ein Röntgenbild ist.
Klar, ich könnte jetzt auch einfach zügig Oberärztin werden. Dann bin ich (fast) der Chef und kann machen, was ich will und wie ich will. Andererseits bin ich dann auch diejenige, die den jungen Assistenzkollegen etwas beibringen muss. Also doch wieder Haken halten, während die Frischlinge versuchen, ihrerseits Gebärmütter auszubauen. Das dauert dann gefühlt noch länger! Und die Verantwortung für deren Mist bekomme ich zum selben Preis mit draufgepackt.
Nee, das möcht ich nicht …
Praxis vielleicht? Langeweile am laufenden Meter im Austausch für freie Wochenenden und Nächte? Au weia – ich glaube, so schlimm ist es dann doch wieder nicht. Andererseits: Wenn das Baby erst mal da ist, wie will ich dann die Dienste schaffen? Uaaaah. Besser nicht drüber nachdenken. Morgen ist schließlich auch noch ein Tag!
Irgendwann wird es Abend, die Kollegen ziehen nach Hause, die Schar der Pfleger und Schwestern dezimiert sich in rasendem Tempo von hundert Mann auf wenige, und die Patientinnenzimmer leeren sich. Im Kreißsaal herrscht friedliche Stille und nur das »Tock, Tock« des CTGs ist leise aus Kreißsaal I zu hören. Hier gehen Gloria-Victoria und Frau Jungblut – 22 Jahre, erstes Kind – hochkonzentriert und bei leiser Musik den immer gleichen Weg der spontanen Entbindung.
Zu Beginn des Schauspiels sind alle Frauen immer noch sie selbst. Jede benimmt sich so wie sonst auch. Eine ist eher gesprächig, die Nächste aufgedreht, die Dritte vielleicht eine bisschen wortkarg. Alle können noch pausenfrei reden und gemütlich herumspazieren. Klar, die ein oder andere schnauft vielleicht schon ein bisschen schwer, aber alle sind definitiv noch in dieser Welt.
Dann, wenn der Druck größer und die Schmerzen heftiger werden, das Köpfchen sich millimeterweise weit nach unten ins kleine Becken schiebt, dann auf einmal, von jetzt auf gleich, wechselt die Stimmung wie das Wetter im Sommer: Das Reden verstummt, der Blick wandert nach innen, und man meint, eine völlig andere Frau vor sich zu haben. Ich finde diesen Moment total spannend, denn eine alte Hebamme hat immer gesagt: »Erst dann lernst du die Menschen wirklich kennen.« Und sie hat recht – ist wirklich so! Selbst nach Hunderten von Entbindungen kann man vor Eintritt der letzten Phase niemals sagen, wie die Geburt tatsächlich ablaufen wird. Da werden sanfte, ruhige Mauerblümchen plötzlich zu hysterischen Derwischen, während hochgradige Mimosen im Gegenzug souverän und nahezu geräuschlos ihre Kinder zur Welt bringen. Oder
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