Danse Macabre
Kinder erkannten die Bedeutung dessen, was die Russen vollbracht hatten, ebenso rasch und gut wie alle anderen
auch - sicherlich so schnell wie die Politiker, die sich förmlich
überschlugen, um das gute Nutzholz aus diesem verheerenden Kahlschlag herauszuholen. Die großen Bomber, die im
Zweiten Weltkrieg Berlin und Hamburg dem Erdboden
gleichgemacht hatten, wurden schon damals, 1957, überflüssig. Eine neue und geheimnisvolle Abkürzung war ins Arbeitsvokabular des Schreckens aufgenommen worden:
ICBM. Die ICBMs waren, so wußte man, nichts weiter als erwachsen gewordene deutsche V-Raketen. Sie trugen enorme
Ladungen des nuklearen Todes und der Zerstörung, und
wenn die Russkies auf dumme Ideen kamen, würden wir sie
einfach vom Angesicht der Erde wegblasen. Paß auf, Moskau! Hier kommt eine große, heiße Dose PIONIERGEIST für
euch, ihr Deppen!
Nur sahen die Russen irgendwie auf unglaubliche Weise in
der alten ICBM-Abteilung auch nicht so schlecht aus.
Schließlich waren die ICBMs nur große Raketen, und die
Kommies hatten ihren Sputnik ganz sicher nicht mit einem
Kartoffelstampfer in die Erdumlaufbahn befördert.
5
Dieses Buch soll einen informativen Überblick darüber
geben, wo das Horror-Genre in den vergangenen dreißig Jahren gewesen ist, es soll keine Autobiographie von Ihrem sehr
Ergebenen sein. Die Autobiographie eines Vaters, Schriftstellers und ehemaligen High-School-Lehrers würde wahrhaftig
eine langweilige Lektüre abgeben. Ich bin Schriftsteller von
Beruf, das heißt, die interessantesten Dinge, die ich jemals erlebt habe, habe ich in meinen Träumen erlebt.
Aber weil ich Horror-Romancier und außerdem ein Kind
meiner Zeit bin, und weil ich finde, daß Horror nicht erschreckt, wenn der Leser oder Zuschauer nicht persönlich berührt wird, werden Sie feststellen, daß sich ein autobiographisches Element ständig einschleichen wird. Im wirklichen
Leben ist Horror eine Empfindung, mit der man ganz alleine
zurechtkommen muß - so wie ich mit der Erkenntnis zurechtkommen mußte, daß die Russen uns auf dem Weg ins Weltall
geschlagen hatten. Es ist ein Kampf, der in den geheimen Abgründen des Herzens ausgetragen wird.
Ich glaube, daß wir letztendlich alle allein sind, jeder tiefe
und anhaltende menschliche Kontakt ist nicht mehr oder weniger als eine notwendige Illusion - aber immerhin sind die
Gefühle, die wir als »positiv« und »konstruktiv« betrachten,
ein Ausstrecken, eine Anstrengung, Kontakt herzustellen
und eine Art von Kommunikation aufzubauen. Gefühle wie
Liebe und Freundlichkeit, die Fähigkeit, Anteil zu nehmen
und mitzufühlen, sind alles, was wir vom Licht kennen. Sie
sind Anstrengungen, um zu verbinden und zu integrieren; es
sind die Gefühle, die uns zusammenbringen, wenn nicht tatsächlich, so doch in einer tröstlichen Illusion, die die Bürde
der Sterblichkeit ein wenig leichter für uns zu tragen macht.
Horror, Entsetzen, Angst, Panik: Das sind die Empfindungen, die Keile zwischen uns treiben, die uns von der Menge
abtrennen und uns einsam machen. Es ist paradox, daß Gefühle und Empfindungen, die wir mit dem »Mob-Instinkt« assoziieren, das tun, aber Menschenmengen, sagt man uns,
sind ein einsamer Aufenthaltsort, eine Gemeinschaft ohne
Liebe. Die Melodien der Horror-Geschichte sind einfach und
wiederholen sich, und es sind Melodien der Auflösung und
Auslöschung …, aber ein weiteres Paradox ist, daß das Ritual, diese Gefühle hinauszulassen, die Dinge wieder zu
einem stabileren und konstruktiven Zustand zurückzubringen scheint. Fragen Sie einen Psychiater, was sein Patient tut,
wenn er da auf der Couch liegt und darüber redet, was ihn
wachhält und was er in seinen Träumen sieht. »What do you
see when you turn out the light?« fragten die Beatles; ihre
Antwort: »I can’t tell you, but I know that it’s mine.«
Das Genre, über das wir sprechen, sei es nun in Literatur,
Film oder Fernsehen, handelt eigentlich nur von einem: erfundenem Schrecken. Eine der Fragen, die immer wieder
von Leuten gestellt werden, die das Paradox erkannt haben
(aber in ihrem Denken noch nicht völlig artikuliert), ist:
Warum sollte man sich schreckliche Sachen ausdenken wollen, wo es doch so viel echten Schrecken auf der Welt gibt?
Die Antwort darauf lautet, daß wir Schrecken erfinden, um
mit dem tatsächlich existenten besser fertig zu werden. Mit
der unerschöpflichen Erfindungsgabe der Menschheit erfassen wir die Elemente, die so trennend und zerstörerisch sind,
und versuchen,
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