Danse Macabre
mein eigener Billig-Favorit, Tourist Trap.
Man kann Sahne nicht schätzen, wenn man nicht eine
Menge Milch getrunken hat, und man schätzt vielleicht nicht
einmal Milch richtig, wenn man nicht einmal welche probiert
hat, die sauer geworden ist. Schlechte Filme können manchmal amüsant, manchmal erfolgreich sein, aber ihre einzige
Nützlichkeit besteht darin, daß sie die Grundlage für einen
Vergleich schaffen: positive Werte durch ihren eigenen negativen Charme zu definieren. Sie zeigen uns, wonach wir su
* Eine Ausnahme ist Judith Christ, die Horror-Filme aufrichtig zu
mögen scheint und häufig imstande ist, hinter dem Armenhaus-Budget
das zu sehen, was dort tickt - ich habe mich stets gefragt, was sie von Night of the Living Dead gehalten haben mag.
eben müssen, weil sie es selbst nicht haben. Nachdem das
etabliert wurde, wird es meiner Meinung nach aktiv gefährlich, bei diesen Filmen zu bleiben …, man muß sie sein lassen.*
* Wenn Sie wissen wollen, was ich selbst für die besten Horror-Filme der
letzten dreißig Jahre halte, dann vergleichen Sie im Anhang.
VIII DIE MATTSCHEIBE, ODER: DIESES MONSTER BRACHTE
IHNEN GAINESBURGERS
1
S
ie alle da draußen in der großen Masse, die der Meinung
sind, daß das Fernsehen auslutscht, Sie irren sich, wissen
Sie; wie Harlan Ellison in seinen manchmal amüsanten
manchmal ätzenden Essays über das Fernsehen gesagt hat lutscht das Fernsehen nicht, es wird gelutscht. Ellison hat
seine zweibändige Abhandlung über das Thema The Glass
Teat »Die Mattscheibe« - genannt, und wenn Sie sie nicht
gelesen haben, dann nehmen Sie hiermit zur Kenntnis, daß
sie als eine Art Kompaß durch das ganze Gebiet empfohlen
wird.
Ich habe das Buch vor drei Jahren mit fassungslosem Staunen gelesen, und die Tatsache, daß Ellison wertvollen Raum
und wertvolle Zeit auf so alberne und getrost vergeßbare Serien wie Alias Smith andJones (dt: Alias Smith undJones) verwendete, kam mir in dem totalen, vulkanischen Ausbruch,
der mich vermuten ließ, ich würde etwas Ähnliches wie eine
sechsstündige Ansprache von Fidel Castro erleben, gar nicht
so sehr zu Bewußtsein. Immer vorausgesetzt, daß Fidel an
jenem Tag gut drauf war.
Ellison kommt in seinem Werk immer wieder auf das Fernsehen zurück, wie ein Mann, der von einer Schlange in Bann
gehalten wird, die letztendlich tödlich ist, wie er sehr genau
weiß.
Seine lange Einleitung zu Strange Wine (ein Buch, das wir
im nächsten Kapitel ausführlich behandeln werden), der
Kurzgeschichtensammlung aus dem Jahre 1978, ist eine
Schmähschrift auf das Fernsehen mit demTitel »Revealed At
Last! What Killed The Dinosaurs! And You Don’t Look So
TerrificYourself.«* - und das ohne ersichtlichen Grund.
Wenn man Ellisons Fernseh-Bericht auf den Kern entklei
det ist er einfach und nicht besonders originell (wenn Sie das
Originelle wollen, dann müssen Sie lesen, wie er es schreibt):
Fernsehen ist ein Verderber, sagt Ellison. Es verdirbt Geschichten, es verdirbt diejenigen, die diese Geschichten machen; letztlich verdirbt es auch diejenigen, die die Geschichten ansehen; die Milch aus dieser besonderen Zitze ist vergiftet. Das ist eine These, die ich vollkommen unterstützen
möchte, aber ich möchte dennoch auf zwei Tatsachen hinweisen.
Harlan Ellison hat ein Fernsehgerät. Ein großes.
Ich habe einen Fernseher, der noch größer ist als der von
Harlan. Es handelt sich genau um einen Panasonic Cinema
Vision, der eine ganze Ecke meines Wohnzimmers beherrscht.
Mea culpa, schon gut.
Ich kann Harlans Fernseher und mein eigenes Monster vernünftig erklären, auch wenn ich für keinen von uns eine akzeptable Entschuldigung parat habe - und ich sollte hinzufü
gen, daß Ellison Junggeselle ist und das Ding zwanzig Stunden täglich anstarren kann, ohne jemand anderem zu schaden als sich selbst. Ich dagegen habe drei Kinder im Haus
zehn, acht und vier Jahre alt -, die diesem Gerät ausgesetzt
sind, seiner möglichen Strahlung, seinen unechten Farben
und dem magischen Fenster in eine vulgäre, kitschige Welt,
wo die Kameras die Ärsche von Playboy-Häschen einfangen
und endlose Visionen eines Ober-Ober-Ober-Mittelschichtsmaterialismus präsentieren, der für die meisten Amerikaner
niemals existiert hat und niemals existieren wird. Massenweises Verhungern gehört in Biafra zum Lebensstil; in Kambodscha scheißen sterbende Kinder ihre eigenen Eingeweide
aus; im Mittleren Osten verbreitet ein messianischer Wahnsinn die Gefahr, jegliche Vernunft zu verdrängen; und
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