Danse Macabre
schenkt ihr die geringste Aufmerksamkeit, aber im
geschlossenen Kreis ihrer eigenen narzißtischen Welt muß sie
den Eindruck haben, daß sie an nichts anderes denken können als an dieses merkwürdige, längst vergangene Phänomen
(da sie selbst an nichts anderes denken kann - das äußere Wetter reflektiert das innere Wetter). »Meine Mutter sagte, es
waren die Nachbarn, sie waren immer gegen uns, weil sie sich
nicht mit ihnen einlassen wollte. Meine Mutter …«
Luke unterbricht sie und sagt: »Ich glaube, wir wollen hier
nichts weiter als die Fakten.« Aber Eleanor kann sich nur mit
den Fakten ihres eigenen Lebens beschäftigen.
Inwieweit ist Eleanor für die Tragödie verantwortlich, die
sich anbahnt? Betrachten wir noch einmal die seltsamen
Worte, welche die Geisterjäger im Flur geschrieben sehen:
HILFE ELEANOR, KOMM NACH HAUSE, ELEANOR. The Haunting
Of Hill House, so sehr es in der doppelten Zweideutigkeit von
Eleanors Persönlichkeit und der von Hill House versinkt,
wird zu einem Roman, den man auf viele unterschiedliche
Weisen lesen kann, einen Roman, der fast endlose Wege und
ein breites Spektrum von Schlußfolgerungen andeutet. HILFE
ELEANOR , zum Beispiel. Wenn Eleanor selbst für die Schrift
verantwortlich ist, bittet sie dann um Hilfe? Wenn das Haus
verantwortlich ist, bittet es sie um Hilfe? Erschuf Eleanor das
Gespenst ihrer eigenen Mutter? Ist es die Mutter, die um
Hilfe ruft? Oder hat Hill House in Eleanors Verstand gesucht
und etwas gefunden, das mit ihren nagenden Schuldgefühlen
spielt? Die längst vergangene Begleiterin, der Eleanor so
ähnlich ist, hat sich erhängt, nachdem das Haus in ihren Besitz übergegangen war, und ihr Motiv könnte durchaus
Schuld gewesen sein. Versucht das Haus, Eleanor dasselbe
anzutun? In The House Next Door ist das genau die Art und
Weise, wie das von Kim Dougherty erbaute Haus auf das
Denken seiner Bewohner einwirkt - es sucht nach Schwachstellen und spielt damit. Hill House könnte das allein tun …,
es könnte es mit Eleanors Hilfe tun …, oder Eleanor könnte
es allein tun.
Das Buch ist sehr subtil, und es bleibt größtenteils dem
Leser oder der Leserin überlassen, diese Fragen zu seiner
oder ihrer eigenen Zufriedenheit zu beantworten.
Und was ist mit dem Rest des Satzes KOMM NACH HAUSE , ELEANOR ? Wieder können wir die Stimme von Eleanors toter
Mutter in dieser Bitte hören, oder die Stimme ihres eigenen,
zentralen Selbst, das gegen diese neue Unabhängigkeit aufbegehrt, diesen Versuch, Parks »widerwärtiger Autorität« zu
entfliehen und in den aufregenden, aber existentiell furchteinflößenden Zustand persönlicher Freiheit zu flüchten. Dies
sehe ich als die logischste Möglichkeit an. Wie Merricat uns in
Jacksons letztem Roman mitteilt, »wir haben immer im
Schloß gelebt«, so hat EleanorVance immer in ihrer eigenen,
engen und erstickenden Welt gelebt. Nicht Hill House macht
ihr Angst, das spüren wir; Hill House ist auch eine enge und
erstickende Welt, von Mauern und Bergen umgeben und sicher hinter verschlossenen Türen, wenn sich das Dunkel der
Nacht herabgesenkt hat. Die wahre Bedrohung, die sie zu
spüren scheint, geht von Montague aus, noch mehr von
Luke, am meisten aber von Theo. »Du hast Dummheit und
Bösartigkeit durcheinandergebracht«, sagt Theo zu Eleanor,
nachdem Eleanor ihrem Unbehagen darüber Ausdruck verliehen hat, sich die Zehennägel rot zu färben, so wieTheo. Sie
geht gar nicht auf die Bemerkung ein, aber die Vorstellung
rührt sehr tief an Eleanors innigste Lebensvorstellungen.
Diese Menschen stellen für Eleanor die Möglichkeit eines anderen Lebensstils dar, der weitgehend antiautoritär und antinarzißtisch ist. Eleanor ist von dieser Möglichkeit angezogen
und abgestoßen zugleich - immerhin ist sie eine Frau, die
noch mit zweiunddreißig Wagemut empfindet, wenn sie ein
Paar Hosen kauft.
Und es ist nicht besonders wagemutig von mir, darauf hin
zuweisen, daß KOMM NACH HAUSE , ELEANOR ein Befehl ist,
den Eleanor sich selbst gegeben hat; sie ist Narziß, der den
Teich nicht verlassen kann.
Es bietet sich hier jedoch noch eine dritte Möglichkeit an,
die für mich so gräßlich ist, daß ich fast nicht darüber nachdenken mag, aber sie ist von zentraler Bedeutung für meine
Ansicht, daß es sich um eines der besten Bücher handelt, die
das Genre jemals hervorgebracht hat. Einfach ausgedrückt, KOMM NACH HAUSE , ELEANOR könnte die Aufforderung von
Hill House an Eleanor sein, sich dazuzugesellen. Reisen
enden damit,
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