Danse Macabre
zurückkehrt …, und wir werden glücklich leben bis
ans Ende unserer Tage.
Die Tiefe dieses plötzlichen Phantasiegespinstes soll uns verblüffen, und das tut sie. Sie deutet auf eine Persönlichkeit
hin, für die das Ersinnen von Phantasien zum Lebensstil geworden ist …, und was Eleanor in Hill House zustößt,
kommt der Erfüllung dieser seltsamen Phantasie-Träume unbehaglich nahe. Möglicherweise sogar dem »Glücklich-bisans-Ende-unserer-Tage«-Teil, doch ich vermute, Shirley Jackson würde das bezweifeln.
Der Abschnitt illustriert jedoch mehr als alles andere die
beängstigende, möglicherweise wahnsinnige Tiefe von Eleanors Narzißmus - unheimliche Filme spielen unablässig in
ihrem Kopf, Filme, deren Star und einzige treibende Kraft sie
ist - Filme, die das exakte Gegenteil ihres wirklichen Lebens
sind. Ihre Phantasie ist rastlos, fruchtbar … und möglicherweise gefährlich. Die steinernen Löwen, die sie sich in dem zitierten Abschnitt ausgedacht hat, tauchen später als Buchstützen in der völlig fiktiven Wohnung wieder auf, die sie sich
für Theo ausgedacht hat.
In Eleanors Leben ist dieses Nach-innen-Kehren, von dem
Park und Malin in Zusammenhang mit dem neuen amerikanischen Schauerroman sprechen, etwas Konstantes. Kurz nach
ihrer Phantasie von dem verzauberten Schloß macht Eleanor
Rast, um etwas zu essen, und hört, wie eine Mutter der Kellnerin erklärt, weshalb ihre kleine Tochter ihre Milch nicht
trinken mag. »Sie möchte ihre Sternentasse«, sagt die Mutter.
»Sie hat Sterne auf dem Boden, und zu Hause trinkt sie ihre
Milch immer daraus. Sie nennt sie ihre Sternentasse, weil sie
die Sterne darin sehen kann, wenn sie die Milch trinkt.«
Eleanor verinnerlicht das sofort: »Ja, wahrhaftig, dachte
Eleanor; wahrhaftig, so wie ich; natürlich, eine Sternentasse.«Wie Narziß selbst, ist auch sie außerstande, die äußere
Welt als etwas anderes als die Reflektion ihrer inneren zu
sehen. Das Wetter ist an beiden Orten stets dasselbe.
Aber verlassen wir Eleanor auf ihrem Weg nach Hill
House, »das stets am Ende des Tages wartet«, für kurze Zeit.
Wir werden sie dort wiedersehen, wenn Sie gestatten.
Ich habe gesagt, daß The House Next Door in seiner Gesamtheit eine Herkunftsgeschichte bildet; die Herkunft von
Hill House wird nach klassischer Manier der Gespenstergeschichte von Dr. Montague auf nur elf Seiten geschildert. Die
Geschichte wird (natürlich!) mit Drinks in den Händen am
Kaminfeuer erzählt. Die wesentlichen Punkte: Hill House
wurde von einem strenggläubigen Puritaner namens Hugh
Crain erbaut. Seine junge Frau starb, wenige Augenblicke
bevor sie Hill House zum ersten Mal gesehen hätte. Seine
zweite Frau starb an einem Blutsturz - Ursache unbekannt.
Seine beiden Töchter blieben bis zum Tod von Crains dritter
Frau (nichts - sie starb in Europa) in Hill House und wurden
dann zu einer Cousine geschickt. Den Rest ihres Lebens verbrachten sie damit, wegen Besitzansprüchen an dem Haus zu
streiten. Später kehrt die ältere Schwester in Begleitung eines
jungen Mädchens aus dem Dorf nach Hill House zurück.
Diese Begleiterin gewinnt zentrale Bedeutung, denn durch
sie scheint Hill House Eleanors eigenes Leben am spektakulärsten zu reflektieren. Während der langen Krankheit ihrer
Mutter war auch Eleanor eine Begleiterin. Nach demTod der
alten Miß Crain werden Vorwürfe der Vernachlässigung laut;
»der Arzt soll zu spät geholt worden sein«, sagt Montague,
»die alte Dame lag vernachlässigt oben, während die jüngere
Frau im Garten mit einem Dorfbengel herumpoussierte …«
Nach dem Tod von Miß Crain folgen weitere bittere Gefühle. Es kommt zu einem Gerichtsverfahren über die Besitzrechte zwischen der Begleiterin und der jungen Miß Crain.
Die Begleiterin siegt schließlich … und begeht kurz darauf
Selbstmord, indem sie sich imTürmchen erhängt. Spätere Bewohner haben sich …, nun, unbehaglich in Hill House gefühlt. Wir haben Hinweise, daß einige sich mehr als unbehaglich gefühlt haben; daß einige sogar regelrecht vor Entsetzen
schreiend aus Hill House geflohen sind.
»Das Böse«, sagt Montague, »ist essentiell im Haus selbst,
glaube ich. Es hat seine Bewohner und deren Leben gekettet
und vernic htet, es ist ein Ort innewohnender Böswilligkeit.«
Die zentrale Frage, die The Haunting of Hill House dem
Leser stellt, ist die, ob Montague recht hat oder nicht. Er leitet seine Geschichte mit mehreren klassischen Grundlagen
dessen ein, was wir den Ort des Bösen
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