Danse Macabre
daß Liebende sich treffen, ist Eleanors Ausdruck dafür, und als ihr Ende näherrückt, fällt ihr folgender
alte Kinderreim ein:
Geh zum Fenster hinein und hinaus,
Geh zum Fenster hinein und hinaus,
Geh zum Fenster hinein und hinaus,
Wie wir es einst getan.
Geh fort zu deinem Liebsten,
Geh fort zu deinem Liebsten,
Geh fort zu deinem Liebsten,
Wie wir es einst getan.
Wie auch immer - Hill House oder Eleanor als zentrale Ursache des Spuks -, die Vorstellungen, die Park und Malin geäußert haben, halten stand. Entweder ist es Eleanor mittels
ihrer telekinetischen Begabung gelungen, Hill House in
einen gigantischen Spiegel zu verwandeln, der ihr eigenes
Unterbewußtsein reflektiert, oder Hill House ist ein Chamäleon, das imstande ist, sie davon zu überzeugen, daß sie in
diesen düsteren Hügeln endlich ihren Platz gefunden hat,
ihre eigene Sternentasse.
Ich habe den Eindruck, Shirley Jackson hätte gerne, daß
wir ihren Roman mit der endgültigen Überzeugung aus der
Hand legen, daß es die ganze Zeit über Hill House gewesen
ist. Der erste Abschnitt deutet sehr stark auf »äußeres Böses«
hin - eine primitive Kraft wie die, die in Anne Rivers Siddons
Haus nebenan wohnt, eine Kraft, die von der Menschheit getrennt ist. Angesichts von Eleanors Ende können wir den Eindruck haben, daß hier drei verschiedene Schichten der »Wahrheit« existieren: Eleanors Überzeugung, daß es in dem Haus
spukt; Eleanors Überzeugung, daß das Haus ihr Ort ist, daß
es nur auf jemanden wie sie gewartet hat; Eleanors letztliche
Erkenntnis, daß sie von einem monströsen Organismus mißbraucht worden ist - daß sie tatsächlich auf unterbewußter
Ebene zu dem Glauben manipuliert worden ist, sie hätte die
Fäden gezogen. Aber es wurde alles mit Spiegeln gemacht,
wie die Zauberkünstler sagen, und die arme Eleanor wird
davon umgebracht, daß ihr eigenes Spiegelbild im Backstein
und Glas von Hill House falsch ist:
Ich mache es wirklich, dachte sie und drehte das Lenkrad,
so daß das Auto direkt auf den Baum an der Kurve der Einfahrt zuraste. Ich mache es wirklich, ich mache es jetzt ganz
alleine, endlich: Dies bin ich. Ich mache es wirklich, wirklich, wirklich ganz alleine.
In der unendlichen, berstenden Sekunde, bevor das Auto
gegen den Baum prallte, dachte sie deutlich: Warum mache
ich das? Warum mache ich das? Warum halten sie mich
nicht auf?
»Ich mache es jetzt ganz alleine, endlich: Dies bin ich«, denkt
Eleanor - aber natürlich ist es ihr im Kontext des neuen amerikanischen Schauerromans unmöglich, etwas anderes zu
glauben. Ihr letzter Gedanke vor ihrem Tod gilt nicht Hill
House, sondern ihr selbst.
Der Roman schließt mit einer Wiederholung des ersten Abschnitts, womit die Schlinge vollendet und der Kreis geschlossen wird …, und wir bleiben mit einer unerfreulichen Aussicht zurück: Wenn es in Hill House vorher nicht gespukt hat,
dann wird es das ganz sicher jetzt tun. Jackson endet damit,
daß sie uns sagt, was immer in Hill House wandelt, wandelt
allein.
Für Eleanor Vance ist das ganz und gar nichts Neues.
4
Ein Roman, der eine schöne Brücke weg vom Ort des Bösen
schlägt (und vielleicht wird es Zeit, die Spukhäuser endlich
hinter uns zu lassen, bevor wir uns einen chronischen Fall des
Schauderns holen), ist Ira Levins Rosemary’s Baby (1967).
Als Roman Polanskis Filmversion herauskam, habe ich den
Leuten gerne erzählt, daß dies einer der seltenen Fälle ist, wo
man den Film nicht sehen mußte, wenn man das Buch gele sen hatte, und wo man das Buch nicht mehr lesen mußte,
wenn man den Film gesehen hatte.
Das ist natürlich nicht ganz die Wahrheit (wie immer), aber
Polanskis Filmversion hält sich bemerkenswert eng an Levins
Roman, und beiden scheint ein ironischer Humor eigen zu
sein. Ich glaube nicht, daß ein anderer Levins bemerkenswerten kleinen Roman so gut hätte verfilmen können …, und übrigens, es ist zwar bemerkenswert, daß sich Hollywood so eng
an eine Romanvorlage hält (man hat manchmal den Eindruck, die großen Filmgesellschaften zahlen nur deshalb Riesensummen für Bücher, damit sie den Autoren sagen können,
was alles nicht gut ist - sicher die teuersten Ego-Trips in der
Geschichte der amerikanischen Künste), aber im Falle Levins ist es gar nicht bemerkenswert. Jeder Roman, den er je mals geschrieben hat*, ist ein Wunder an Handlungskonstruktion. Er ist der Schweizer Uhrmacher des Spannungsromans;
was Handlungskonstruktion anbelangt, läßt er uns andere im
Vergleich wie die
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