Danse Macabre
…, aber ein Rest Unbehagen ist vorhanden.
Während die schwelende Sonne den himmlischen Äquator
von Norden nach Süden überquerte, offenbarten sich zahllose Zeichen: In Dorset, nahe der kleinen Stadt Blandford,
wurde ein Kalb mit zwei Köpfen geboren; Schiffswracks
stiegen aus der Tiefe des Marianengrabens empor; überall
wurden Kinder alt und sehr weise; über dem indischen
Staat Maharashtra nahmen die Wolken die Form sich bekriegender Heere an; auf der Südseite keltischer Megalithen wuchs rasch lepröses Moos und verwelkte binnen Minuten wieder; in Griechenland fingen die hübschen, kleinen Gartennelken an zu bluten, und die Erde um sie herum
verströmte Fäulnisgeruch; alle sechs der geheimnisvollen dirae, die Julius Cäsar im ersten Jahrhundert nach Christus
designiert hatte, darunter das Verschütten von Salz und
Wein, Stolpern, Niesen und das Ächzen von Stühlen,
machten sich bemerkbar; den Maroi erschien die Aurora
australis; Basken sahen ein gehörntes Pferd, welches durch
die Straßen vonVizcaya galoppierte. Zahllose andere Augurien.
Und das Tor der Hölle tat sich auf.
Wir können spüren, wie Ellison abhebt, wie er zufrieden ist
mit der Wirkung und Balance der Sprache und der geschilderten Besonderheiten, wie er es an die Grenze treibt und seinen
Spaß hat, und das dürfte das Beste an dem oben zitierten Absatz sein. Zu denen, die während der kurzen Zeit, da das Tor
der Hölle offensteht, entkommen können, gehören Jack the
Ripper, Caligula, Charlotte Corday, EdwardTeach (»der Bart
war immer noch dicht, aber weiß, die hineingeflochtenen
Bänder verkohlt und farblos …, und er lachte bösartig«),
Burke und Hare, sowie George Armstrong Custer.
Alle sind plötzlich wieder da, abgesehen von Ellisons Lizzie-Borden-Version, MargaretThrushwood. Sie begibt sich in
den Himmel, stellt Doc … und wird zu Gott geschickt, als
ihre Erkenntnis der Scheinheiligkeit, die hier am Wirken ist,
das Gefüge des Himmels an den Rändern bersten und platzen läßt. Der See, in dem Doc seine Füße kühlt, als Margaret
ihren verkohlten, schwarzen Körper zu ihm schleppt, füllt
sich langsam mit Lava.
Margaret kehrt in die Hölle zurück, weil ihr klar wird, daß
sie damit fertig werden kann, während Doc, den sie irgendwie immer noch liebt, es nicht könnte. »Es gibt Menschen,
denen sollte man einfach nicht gestatten, mit der Liebe herumzuspielen«, sagt sie in der besten Zeile der Geschichte zu
Gott. Derweil malt Hitle r dicht hinter dem Tor der Hölle
immer noch seine Rosen (er war zu sehr damit beschäftigt, an
Flucht zu denken, als dasTor offenstand). Gott sieht sich einmal um, sagt Ellison uns, »und konnte es gar nicht erwarten,
Michelangelo zu finden, um ihm von der Pracht zu berichten,
die sie dort, an den unwahrscheinlichsten Orten, erhalten
hatten«.
Die Pracht, die Ellison uns zeigen möchte, sind natürlich
nicht Hitlers Rosen, sondern Margarets Fähigkeit, in einer
Welt zu lieben und weiter zu glauben (wenn auch nur in sich
selbst), in der die Unschuldigen bestraft und die Schuldigen
belohnt werden. Wie in vielen Geschichten von Ellison,
drehte sich der Horror um ein zum Himmel stinkendes Unrecht; das Gegenmittel liegt häufig in der Fähigkeit seiner
menschlichen Protagonisten begründet, die ungerechte Situation zu überwinden oder, sollte das nicht möglich sein, wenigstens einen Modus vivendi mit ihr zu finden.
Die meisten dieser Geschichten sind Gleichnisse - ein unbehagliches Wort in einer Zeit der Literatur, da das Konzept
der Literatur als ein vereinfachendes angesehen wird -, und
Ellison verwendet dieses Wort unverblümt in mehreren individuellen Einleitungen zu seinen Geschichten. In einem
Brief an mich mit dem Datum 28. Dezember 1979 schildert er
die Verwendung von Gleichnissen in Fantasy, die bewußt vor
dem Hintergrund der modernen Welt angelegt wird:
»Strange Wine setzt - wie ich in der Retrospektive sehe meinen Eindruck fort, daß in unserer derzeitigen Gesellschaft Fantasy und Wirklichkeit die Rollen getauscht haben.
Wenn es ein durch alle Geschichten durchlaufendes Thema
gibt, dann ist es dieses. Als Fortsetzung der Arbeit, die ich in
den beiden vorangegangenen Büchern, Approaching Oblivion (1974) und Deathbird Startes (1975) begonnen habe, versucht es, eine Art übergelagertes Präkontinuum zu schaffen,
durch dessen Benutzung und Verstehen der Leser/die Leserin, der/die auch nur eine leicht examinierte Existenz führt,
den Halt über sein/ ihr Leben erlangen und sein/ihr
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