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Danse Macabre

Danse Macabre

Titel: Danse Macabre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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von denen wir bereits gesprochen haben: Eine apollinische Gesellschaft wird von einer
dionysischen Kraft (in diesem Fall der tödlichen Supergrippe,
die fast alle umbringt) gestört. Zudem stellen die Überlebenden dieser Seuche fest, daß sie sich in zwei unterschiedliche
Lager spalten: Eines, in Boulder, Colorado, gelegen, ahmt
die gerade vernichtete apollinische Gesellschaft nach (mit
einigen bedeutsamen Unterschieden); das andere in Las
Vegas, Nevada, ist brutal und dionysisch.
    Das erste dionysische Aufflackern in The Exorcist findet
statt, als Chris MacNeil (Ellen Burstyn) das löwenähnliche
Brüllen auf dem Dachboden hört. In The Stand kündigt sich
Dionysos damit an, daß ein alter Chevy in eine abgelegene
Tankstelle in Texas fährt. In The Exorcist ist der apollinische
Urzustand wieder herbeigeführt, als wir die blasse Regan
MacNeil sehen, die zum Mercedes-Benz ihrer Mutter geführt
wird; in The Stand ist dieser Augenblick meiner Meinung
nach der, als die beiden Hauptpersonen des Buches, Stu Redman und Frannie Goldsmith, Frannies offensichtlich normales Baby durch eine Glasscheibe im Krankenhaus von Boulder betrachten. Wie bei The Exorcist war die Wiederherstellung des Gleichgewichts nie so schön.
    Aber unter alledem kann man vage das Gesicht des wahren
\Verwolfs sehen, wie es von den moralischen Konventionen
der Horror-Geschichte verborgen wird (aber möglicherweise
doch nicht ganz so sehr verborgen). Vieles von dem Zwang,
den ich verspürte, während ich The Stand schrieb, rührte offensichtlich daher, daß ich einen vollständigen, festgefahrenen gesellschaftlichen Prozeß mit einem einzigen Schlag vernichten konnte. Ich kam mir ein wenig wie Alexander der
Große vor, der das Schwert über dem Gordischen Knoten
erhob und dabei knurrte: »Scheiß drauf, ihn zu entwirren; ich
habe eine bessere Methode.« Und ich fühlte mich ein wenig
so, wie Johnny Rotten sich am Anfang des klassischen und
elektrisierenden Songs »Anarchy for the U. K.« der Sex Pistols anhört. Er gibt ein tiefes, kehliges Kichern von sich, das
auch aus Flaggs Kehle gekommen sein könnte, und dann intoniert er: »Right … NOW !« Wir hören diese Stimme, und unsere Reaktion ist grenzenlose Erleichterung. Jetzt wissen wir
das Schlimmste; wir befinden uns in der Gewalt eines echten
Wahnsinnigen.
    In diesem gedanklichen Rahmen wurde die Vernichtung
der WELT WIE WIR SIE KENNEN zu einer tatsächlichen Erleichterung. Kein Ronald McDonald mehr! Keine Gong Show oder Soap mehr im Fernsehen - nur beruhigendes weißes Rauschen! Keine Terroristen mehr! Keine verdammte Scheiße
mehr! Nur der Gordische Knoten, der sich dort im Staub entwirrt. Ich möchte damit sagen, daß unter dem Verfasser moralischer Horror-Geschichten (dessen Füße, wie die von Henry
Jekyll, »stets auf dem Aufwärtspfad gehen«) ein völlig anderes Wesen lauert. Er lebt, sagen wir einmal, in Jack Finneys
drittem Untergeschoß, und er ist ein kapriolenmachender Nihilist, der sich, um den Vergleich mit Jekyll/Hyde beizubehalten, nicht damit zufriedengibt, über die zarten Knochen eines
schreienden kleinen Mädchens zu trampeln, sondern der es
in diesem Fall als notwendig ansieht, auf der ganzen Welt zu
tanzen. Ja, Leute, in The Stand hatte ich die Möglichkeit, die
gesamte menschliche Rasse auszulöschen, und das hat Spaß
gemacht!
    Und wo bleibt jetzt die Moral?
Nun, ich will Ihnen meine Ansicht mitteilen. Ich glaube,
die Moral ruht dort, wo sie immer geruht hat: in den Herzen
von Männern und Frauen, die guten Willens sind. Im Falle
des Schriftstellers mag das bedeuten, mit einer nihilistischen
Prämisse anzufangen und allmählich die alten Lektionen von
menschlichen Werten und menschlichem Verhalten neu zu lernen. Im Falle von The Stand bedeutete es, mit der düsteren
Prämisse anzufangen, daß die menschliche Rasse eine Art
Krankheitserreger in sich trägt - diesen Krankheitserreger
sah ich zuerst symbolisch in der SLA und schließlich bildlich
im Erreger der Supergrippe -, der immer bösartiger wird, je
weiter die Macht der Technologie wächst. Die Supergrippe
wird von einem einzigen technologischen Fehltritt ausgelöst
(und auch das ist keine so sehr an den Haaren herbeigezogene Mutmaßung, wenn man sich vergegenwärtigt, was letztes Jahr auf Three Miles Island geschehen ist, oder an die Tatsache denkt, daß in meinem eigenen Bundesstaat Loring
AFB Bomber und Truppen in Bereitschaft versetzt hat, um
über den Pol nach Rußland zu starten, weil es zu einem kleinen Fehler

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