Danse Macabre
Frankenstein: »Ich werde dich besuchen in deiner
Hochzeitsnacht.« Was diese Drohung bedeutet, geht für
Leser in Mary Shelleys Tagen wie auch in unseren weit über
Mord hinaus.
Frankenstein reagiert auf diese Drohung, indem er seine
Jugendliebe Elisabeth fast auf der Stelle heiratet - was nicht
zu den glaubwürdigsten Stellen in dem Buch gehört, aber
auch nicht auf einer Stufe steht mit der weggeworfenenTruhe
im Straßengraben oder der entflohenen, arabischen Adligen.
In der Hochzeitsnacht geht Victor hinaus, um die Kreatur zu
konfrontieren, weil er in seiner Naivität davon ausgegangen
ist, daß die Drohung gegen ihn gerichtet war. Derweil ist das
Monster in die kleine Hütte eingebrochen, die sich Victor und
Elisabeth für die Nacht gemietet haben. Abgang Elisabeth.
Als nächstes geht Frankensteins Vater, ein Opfer von Schock
und gebrochenem Herzen.
Frankenstein verfolgt seine dämonische Schöpfung ohne
Unterlaß nordwärts, in die arktische Einöde, wo er auf dem
polwärts reisenden Schiff von Robert Walton stirbt, ebenfalls
ein Wissenschaftler, der entschlossen ist, die Geheimnisse
von Gott und Natur aufzuklären …, und der Kreis schließt
sich fein säuberlich.
3
Die Frage stellt sich: Wie kommt es, daß diese bescheidene,
gotische Geschichte, die in der ersten Fassung nur etwa hundert Seiten lang war (Ms. Shelleys Mann Percy ermutigte sie,
sie zu erweitern), in einer Art kultureller Echokammer
landete, im Lauf der Jahre immer mehr verstärkt wurde, bis
wir einhundertundvierundsechzig Jahre später Frühstücksflocken haben, die Frankenberry heißen (und eng verwandt
sind mit zwei anderen Favoriten des Frühstückstisches, Graf
Chocula und Booberry); eine alte Fernsehserie mit demTitel The Munsters, die offenbar in endlos viele Sendungen übergegangen ist, Aurora-Frankenstein-Modellbausätze, die den
jungen Modellbastler nach Fertigstellung mit einer im Dunklen leuchtenden Kreatur belohnen, die durch einen im Dunklen leuchtenden Friedhof schleicht; und das Sprichwort »Er
sieht aus wie Frankenstein« als Synonym für einen häßlichen
Menschen?
Die offensichtlichste Antwort auf diese Frage ist: die
Filme. Die Filme sind schuld daran. Und das ist eine wahre
Antwort, soweit man sagen kann. Wie in Filmbüchern ad infinitum (und wahrscheinlich ad nausearri) dargelegt wurde,
waren Filme bestens geeignet, die kulturelle Echokammer zu
liefern …, vielleicht deshalb, weil der beste Ort, um ein Echo
zu erzeugen, und zwar wenn es um Ideen geht ebenso wie in
Sachen Akustik, eben ein großer, leerer Raum ist. Anstelle
der Ideen, die uns Bücher und Romane geben, liefern Filme
nicht selten größere Portionen von Gefühlen. Dazu haben
die amerikanischen Filme ein Gespür für Bilder hinzugefügt,
und die beiden zusammen ergeben eine atemberaubende Vorstellung. Nehmen wir zum Beispiel Clint Eastwood in Don
Siegels Dirty Harry. Was Ideen anbelangt, so ist der Film ein
idiotischer Mischmasch. Was Bilder und Gefühle anbelangt das junge Entführungsopfer, das bei Dämmerung aus der Zisterne gefischt wird, der Böse, der den Bus voller Kinder
terrorisiert, das Granitgesicht von Dirty Harry Callahan
selbst -, ist er brillant. Selbst die besten Liberalen kommen
aus einem Film wie Dirty Harry oder Peckinpahs Straw Dogs (dt: Wer Gewalt sät) heraus und sehen aus, als hätten sie eins
über den Kopf bekommen … oder wären von einem Zug
überfahren worden.
Selbstverständlich gibt es Filme mit Ideen, sie reichen von Birth of a Nation (dt: Geburt einer Nation) bis zu Annie Hall (dt: Der Stadtneurotiker). Aber diese waren bis vor wenigen
Jahren weitgehend die Domäne ausländischer Filmemacher
(der »Neuen Welle« im europäischen Kino von etwa 1946 bis
1965), und diese Filme wurden in Amerika nie zur Kenntnis
genommen und werden bestenfalls mit Untertiteln im
»Kunsthaus« in Ihrer Nachbarschaft gespielt, wenn überhaupt. Diesbezüglich ist es meiner Meinung nach leicht, den
Erfolg von Woody Allens späteren Filmen zu mißdeuten. In
Amerikas städtischen Gegenden stehen die Leute für seine
Filme - und für Filme wie Cousin, Cousine am Kartenschalter Schlange, und sie bekommen das, was George (Night of
the Living Dead, Dawn of the Dead) Romero »gute Tinte«
nennt, aber im Hinterland - dem Viererkino in Davenport,
lowa, oder dem Doppelkino in Portsmouth, New Hampshire
- laufen diese Filme eine schnelle Woche, oder auch zwei, und
verschwinden dann wieder. Burt Reynolds in Smokey and the
Bandit (dt: Ein ausgekochtes
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