Danse Macabre
hinweisen, daß Billy the Kid in Wirklichkeit ein zimperlicher Neuling aus New York war, der einen
Derby-Hut trug, Syphilis hatte und wahrscheinlich die meisten seiner Opfer in den Rücken schoß. Die Leute interessieren sich für solche Fakten, begreifen aber intuitiv, daß sie
nicht das sind, was heute wirklich wichtig ist …, wenn sie es
überhaupt jemals waren. Zu den Dingen, die Kunst zu einer
Kraft machen, mit der man rechnen muß, selbst diejenigen,
denen nicht daran gelegen ist, gehört die Regelmäßigkeit,
mit der der Mythos die Wahrheit verschluckt …, und zwar
ohne einen einzigen Verdauungsrülpser.
Mary Shelleys Roman ist ein zähes und geschwätziges Melodram, das Thema wird in großen, sorgfältigen und eher groben Pinselstrichen gestaltet. Es ist so ausgearbeitet, wie ein
kluger, aber naiver Rhetorikstudent seine Argumentation
aufbauen würde. Anders als in den auf dem Buch basierenden Filmen, gibt es kaum Schilderungen von Gewalt, und anders als das sprechunfähige Monster der Universal-Filme
(»der Karloff-Filme«, wie Forry Ackerman sie so liebevoll
nennt), spricht Shelleys Geschöpf mit den volltönenden, ausgeglichenen Sätzen eines Adligen im Oberhaus oder von William F. Buckley, der in einer Fernseh-Talk-Show höflich mit
Dick Cavett diskutiert. Es ist ein Geistesgeschöpf, ein krasser
Gegensatz zu Karloffs körperlich überwältigendem Monster
mit der hohen Stirn und den eingesunkenen, verschlagen-listigen Augen; im ganzen Buch findet sich nichts so Grauenerregendes wie Karloffs Zeile in The Bride of Frankenstein, die
er mit seinem dumpfen, toten und schleppenden Tenor
spricht: »Ja …, tot …, ich liebe … den Tod.«
Ms. Shelleys Roman trägt den Untertitel »Der moderne
Prometheus«, und dieser fragliche Prometheus ist Victor
Frankenstein. Er verläßt Haus und Herd, um die Universität
in Ingolstadt zu besuchen (und wir hören bereits das Surren
des Schleifsteins, als die Autorin sich anschickt, eine der berühmtesten Äxte des Horror-Genres zu schleifen: ES GIBT
DINGE, DIE ZU WISSEN DER MENSCHHEIT NICHT BESTIMMT
SIND ), wo er eine Menge verrückte - und gefährliche - Dinge
über Galvanismus und Alchimie in den Kopf gesetzt bekommt. Das unausweichliche Resultat ist natürlich die Erschaffung eines Monsters mit mehr Teilen, als man in einem
Automobilersatzteilkatalog von J. C. Whitney findet. Frankenstein gelingt diese Schöpfung nach einem langen, an Fieberwahn gemahnenden Ausbruch von Aktivität - und in diesen Szenen gibt uns Shelley ihre eindringlichste Prosa.
Über den Grabraub, der notwendig ist, die bevorstehende
Aufgabe zu beginnen:
Wer könnte jene Schrecken je ermessen, die ich bei meinem geheimen Tun empfand, da ich mich befleckte inmitten der unheiligen Verwesungsdünste des Grabens, oder
die lebende Kreatur zu Tode marterte, um dereinst den
toten Lehm beleben zu können! Noch heute zittern mir die
Glieder und schwimmen mir die Augen, wenn ich daran
denke. (…) Ich trug aus den Beinhäusern Knochen zusammen und profanierte das gewaltige Mysterium der Menschengestalt. (…) hatte ich meine Werkstatt aufgeschlagen,
um Leben zu schaffen aus dem Unflat: Oft genug wollten
mir über den scheußlichen Einzelheiten meiner Arbeit die
Augen aus den Höhlen treten.*
Über denTraum, der dem Abschluß des Experiments folgt:
Ich bildete mir ein, Elisabeth zu sehen, wie sie in blühender Gesundheit durch die Gassen von Ingolstadt wandelte.
Voll entzückter Überraschung nahm ich sie in die Arme.
Da ich aber den ersten Kuß auf ihre Lippen drückte, ward
sie totenbleich, mit ihren Zügen ging ein Wandel vor sich,
und mir schien’s, als hielte ich jetzt den toten Körper meiner Mutter in den Armen! Ein Leichentuch verhüllte die
Gestalt, und in den Falten des Flanells wimmelte es von
dem Gewürm der Verwesung! Zutiefst entsetzt schrak ich
aus meinem Schlummer - der kalte Angstschweiß brach
* Dieses und die nachfolgenden Zitate wurden der deutschen Ausgabe Frankenstein, München 1970, entnommen.
(Anm.d.Übers.)
mir aus der Stirn - und zähneklappernd blickte ich um
mich: in dem schwachen, gelblichen Mondlichte, welches
durch die Fensterläden in die Kammer quoll, stand jenes erbärmliche Monstrum vor mir - der fürchterliche Popanz,
welchen ich erschaffen! Er hielt den Bettvorhang zur Seite
und heftete seine Augen - sofern sie diesen Namen überhaupt verdienten -, auf mich. Seine Kinnladen klappten
auf, und aus der klaffenden Öffnung ertönten irgendwelche unartikulierten Laute,
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