Danse Macabre
genügend Zeit. Irgendwie finden solche Eltern die Märchen, die in Gilligan’s Island,
The Odd Couple und The Love Boat erzählt werden, immer
akzeptabler. Gott allein weiß, weshalb so viele Eltern Aufklärung mit gefühlsmäßigem und phantasiemäßigem Bankraub
verwechselt haben, aber es ist so; sie können sich nicht zufrie
* Dieser Gedanke stammt nicht von mir, aber derTeufel soll mich holen,
wenn ich mich daran erinnere, wer das gesagt hat - ich werde es daher
einfach dem fleißigsten aller Autoren zuschreiben, Mr. Anonym.
dengeben, bis das Licht des Wunders in den Augen ihrer Kinder erloschen ist. (Er meint nicht mich, flüstern Sie sich jetzt
gerade zu - aber, meine Dame oder mein Herr, vielleicht
doch.) Den meisten Eltern ist klar, daß Kinder im klassischen
Sinne des Wortes verrückt sind. Aber ich bin nicht sicher, daß
es gleichbedeutend mit »Vernunft« ist, den Nikolaus oder die
Zahnfee zu töten. Für Kinder scheint die Vernunft des Wahnsinns sehr gut zu funktionieren. Sie dient immerhin dazu, das
Ding im Schrank fernzuhalten.
Onkel Clayt hatte sehr wenig von diesem »sense of wonder« - dem »Sinn des Staunens« - verloren. Zu seinen anderen erstaunlichen Begabungen (jedenfalls für mich erstaunlich) gehörte seine Fähigkeit, Bienen aufzuspüren - das
heißt, wenn er eine Honigbie ne auf einer Blume sah, dann
konnte er ihr zu ihrem Stock zurück folgen, er stapfte durch
Wälder, watete durch Bäche, kletterte über umgestürzte
Baumstämme -, auch seine Fähigkeit, Zigaretten mit einer
Hand zu drehen (die er immer exzentrisch wirbelte, bevor er
sie sich in den Mund steckte und mit Diamond-Streichhölzern anzündete, die er in einem wasserdichten Behälter aufbewahrte), und sein scheinbar endloses Repertoire von Geschichten und Erzählungen …, Indianergeschichten, Gespenstergeschichten, Familiengeschichten, Legenden, was
Sie wollen. An diesem Tag hatte sich meine Mutter bei Clayt
und seiner Frau Ella beim Essen darüber beschwert, wie langsam das Wasser in die Waschbecken und dasToilettenreservoir
stieg. Sie fürchtete, der Brunnen würde wieder austrocknen.
Damals, etwa 1959 oder 1960, hatten wir einen flachen Brunnen, der jeden Sommer etwa für einen Monat oder so austrocknete. Dann schleppten mein Bruder und ich und ein
Cousin Wasser in einen großen Tank, den ein anderer Onkel
(das war Onkel Oren, lange Zeit der beste Zimmermann und
Unternehmer im südlichen Maine) in seiner Werkstatt zusammengeschweißt hatte. Wir hievten den Tank auf die Ladefläche eines alten Kombi und fuhren ihn dann als Relay zum
Brunnen hinunter, wo wir mit großen, galvanisierten Milchkannen arbeiteten. Während des trockenen Monats oder der
sechs Wochen holten wir unser Trinkwasser von der städtischen Pumpe.
Onkel Clayt packte mich also, während die Frauen Geschirr spülten, und sagte mir, wir würden meiner Mutter mit
der Wünschelrute einen neuen Brunnen suchen. Mit zwölf
Jahren war das ein interessanter Zeitvertreib, aber ich war
skeptisch; Onkel Clayt hätte mir ebensogut sagen können, er
wolle mir zeigen, wo hinter dem Versammlungssaal der Methodisten eine fliegende Untertasse gelandet war.
Er spazierte herum, hatte die grüne Mütze in den Nacken
geschoben, eine seiner Selbstgedrehten im Mundwinkel und
die Wünschelrute in den Händen. Er hielt sie am Gabelbein,
die Handgelenke nach außen gedreht, die großen Daumen
fest gegen das Holz gedrückt. Wir schritten unablässig im Garten umher, in der Einfahrt und auf dem Hügel, wo der Apfelbaum stand (und heute noch steht, auch wenn andere Menschen in dem kleinen Haus mit seinen fünf Zimmern wohnen). Und Clayt redete … über Baseball; über den Versuch,
wie er einmal in Kitterey einen Kupferschürf-Konzern gründen wollte, ausgerechnet dort; und wie Paul Bunyan einmal
den Verlauf des Prestile Stream umgeleitet haben sollte, um
Wasser für die Holzfällerlager zu beschaffen. Ab und zu blieb
er stehen, und die Spitze der Apfelholzwünschelrute zitterte
ein klein wenig. Dann hielt er mit seiner Geschichte inne und
wartete. Das Zittern schwoll zu einer kontinuierlichen Vibration an und hörte dann wieder auf. »Hie r haben wir was, Stevie«, sagte er dann. »Etwas. Nicht viel.« Und ich nickte weise
und war überzeugt, daß er alles selbst machte. So wie Eltern
die Geschenke unter den Weihnachtsbaum legen, und nicht
der Nikolaus, weiß doch jeder, wie sie auch den Zahn unterm
Kissen hervorholen, wenn man schläft, und dafür einen Dollar hinlegen. Aber ich
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