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Danse Macabre

Danse Macabre

Titel: Danse Macabre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Käfige sind
notwendigerweise zerbrechlicher als die, die ihre Eltern
bauen. Ich glaube nicht, daß es Menschen ganz ohne Phantasie gibt - wenngleich ich zu dem Ergebnis gekommen bin,
daß es welche gibt, denen auch nur ansatzweise der Sinn für
Humor fehlt -, aber manchmal scheint es so zu sein …, vielleicht, weil ein paar Menschen nicht nur Käfige für den Gorilla bauen, sondern Tresore vom Typ Chase Manhattan
Bank. Mit Zeitschlössern.
Ich habe einmal einem Interviewpartner gegenüber erklärt, daß die meisten großen Schriftsteller einen kindlichen
Gesichtsausdruck haben, was bei denen, die Fantasy schreiben, noch ausgeprägter zu sein scheint. Am deutlichsten
merkt man es vielleicht dem Gesicht von Ray Bradbury an,
der immer noch wie der Junge aus Illinois aussieht, der er gewesen ist - und sein Gesicht hat diesen undefinierbaren Ausdruck trotz seiner über sechzig Jahre, dem grauen Haar und
der dicken Brille. Robert Bloch hat das Gesicht eines Sechstkläßler-Bengels, das des Klassen-Clowns, wissen Sie, und er
ist auch über sechzig (wie weit über sechzig möchte ich an dieser Stelle nicht einmal vermuten; er könnte mir Norman
Bates auf den Hals schicken); es ist das Gesicht eines Jungen
der ganz hinten im Klassenzimmer sitzt - jedenfalls bis ihm
der Lehrer einen Platz ganz vorne zuweist, was für gewöhnlich nicht lange dauert - und mit den Handflächen quietschende Laute auf derTischplatte seines Pults macht. Harlan
Ellison hat das Gesicht eines kräftigen Stadtkindes, das so
viel Selbstvertrauen besitzt, daß es normalerweise freundlich
ist, das einen aber verdammt in die Mangel nehmen kann
sollte man ihm dumm kommen.
Der Ausdruck, den ich beschreiben möchte (oder andeuten, eine richtige Beschreibung ist unmöglich), ist möglicherweise am ausgeprägtesten im Gesicht von Isaac Bashevis Singer, der zwar vom literarischen Establishment als Autor »normaler« Literatur betrachtet wird, der aber nichtsdestotrotz
das Katalogisieren von Teufeln, Engeln, Dämonen und Dybbuks zu einem Bestandteil seiner Karriere gemacht hat. Nehmen Sie sich ein Buch von Singer und betrachten Sie das Foto
des Autors. (Sie können das Buch auch lesen, wenn Sie damit
fertig sind, das Bild zu betrachten, okay?) Es ist das Gesicht
eines alten Mannes, aber diese Oberfläche ist so dünn, daß
man Zeitung hindurch lesen könnte. Der Junge ist darunter
zu sehen, er ist seinen Zügen aufgeprägt. Am deutlichsten ist
es in den Augen; sie sind jung und klar.
Ein Grund für diese »jungen Gesichter« könnte der sein,
daß Schriftsteller, die Fantasy schreiben, diesen Gorilla
mögen. Sie haben sich nie die Mühe gemacht, den Käfig kräftiger zu machen, und als Folge dessen hat ein Teil von ihnen
niemals diesen Schwund der Phantasie erlebt, der so sehr
Teil des Erwachsenwerdens ist, der so notwendig ist, den eingeschränkten Sehbereich zu erzeugen, der für eine erfolgreiche Karriere als Erwachsener nötig ist. Eines der Paradoxe
von Fantasy und Horror ist, daß der Verfasser dieser Literatur
wie die faulen Schweinchen ist, die ihr Haus aus Stroh und
Stäben gebaut haben - aber statt ihre Lektion zu lernen und
vernünftige Backsteinhäuser zu bauen wie ihr ach so vernünftiger älterer Bruder (der meiner Erinnerung für alle Zeiten
durch die Ingenieursmütze eingebrannt ist, die er in dem Disney-Zeichentrickfilm aufhat), bauen die Verfasser von Fantasy und Horror einfach wieder mit Stöcken und Stroh. Weil
sie es auf eine verrückte Weise mögen, wenn der Wolf kommt
und es niederbläst, ebenso wie sie es mögen, wenn der Gorilla seinem Käfig entkommt.
Natürlich sind nicht viele Menschen Verfasser von Fantasy,
aber fast alle erkennen die Notwendigkeit, der Phantasie ab
und zu einmal so etwas zu servieren. Die Menschen scheinen
zu begreifen, daß die Phantasie ab und zu eine Dosis davon
braucht, wie Vitamine oder Jodsalz, um einem Kröpf vorzubeugen. Fantasy ist Salz für den Verstand.
Ich habe vor einer Weile von der »Aufhebung des Unglaubens« gesprochen, Coleridges klassischer Definition dessen,
was der Leser bringen muß, wenn er Nervenkitzel aus einer
Fantasy-Story, einem Roman oder einem Gedicht haben will.
Eine andere Art, das auszudrücken, ist die, daß der Leser bereit sein muß, den Gorilla für eine Weile aus seinem Käfig zu
lassen, und wenn wir den Reißverschluß am Rücken des
Monsters sehen, dann geht der Gorilla prompt wieder in seinen Käfig zurück. Wenn wir vierzig werden oder so, dann ist
er schon ziemlich lange in

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