Danse Macabre
direkt zu jener Grenze vorstoßen, wo
»Kunst« in jeder Form aufhört zu existieren und »exploitation« anfängt, und diese Filme sind nicht selten die größten
Erfolge des Genres. The Texas Chainsaw Massacre ist einer
davon; in den Händen von Tobe Hooper genügt der Film der
Definition von Kunst, die ich aufgestellt habe, und ich würde
mit Freuden vor jedem Gericht des Landes seinen gesellschaftlichen Wert verteidigen. Für The Ghastly Ones würde
ich das nicht tun. Der Unterschied ist mehr als der Unter
* Gemeint sind Filme, in denen angeblich »echte«, d. h. ungestellte
Grausamkeiten und sogar Morde aufgenommen werden.
(Anm. d. Übers.)
schied zwischen einer Kettensäge und einer Holzsäge; der
Unterschied beträgt ungefähr siebzig Millionen Lichtjahre.
Hooper arbeitet in Chainsaw Massacre auf seine eigene, unnachahmliche Weise, mit Geschmack und Gewissen. The
Ghostly Ones ist das Werk von Schwachköpfen mit einer Kamera.*
Wenn ich also diese Unterhaltung in Ordnung halten
möchte, werde ich auf das Konzept des Wertes zurückkommen müssen - künstlerischen und sozialen Wertes. Wenn Horror-Filme einen wiedergutmachenden sozialen Wert haben,
dann aufgrund ihrer Fähigkeit, eine Liaison zwischen dem
Wirklichen und dem Unwirklichen herzustellen - also einen
Subtext zu liefern. Und diese Subtexte erstrecken sich aufgrund ihrer Massenanziehung häufig über eine ganze Kultur.
In vielen Fällen - besonders in den fünfziger Jahren und
dann wieder Anfang der siebziger - sind die ausgedrückten
Ängste soziopolitischer Natur, eine Tatsache, die so unterschiedlichen Filmen wie Don Siegels Invasion of the Body
Snatchers und William Friedkins The Exorcist einen verrückten und überzeugenden dokumentarischen Hauch verleiht.
Wenn die Horror-Filme ihre verschiedenen soziopolitischen
Hüte tragen - der B-Film als Aufmacher der Regenbogenpresse -, füngieren sie nicht selten als außergewöhnlich treffsicheres Barometer für die Dinge, die den nächtlichen Schlaf
der gesamten Gesellschaft plagen.
Aber Horror-Filme tragen nicht immer einen Hut, der sie
als verkleidete Kommentare zur sozialen oder politischen
Landschaft ausweist (wie Cronenbergs The Brood ein Kommentar zur Auflösung der Großfamilie ist und sein They
Came from Within [dt: Parasiten-Mörder] eine Abhandlung
* Ein Erfolg dabei, auf so dünnem Eis Schlittschuh zu laufen, garantiert
nicht notwendigerweise, daß der Filmemacher den Erfolg wiederholen kann; während HoopersTalent seinen zweiten Film Eaten Alive (dt: Blutrausch) noch davor bewahrt, in die Kategorie von The Bloody Mutilators abzurutschen, ist er dennoch eine Enttäuschung. Der einzige
Regisseur, der mir einfällt, der dieses graue Land zwischen Kunst und
Porno-Exhibitionismus immer wieder erfolgreich - sogar brillant - erforscht hat, ohne sich je einen einzigen Fehltritt zu leisten, ist der kanadische Filmemacher David Cronenberg.
über die kannibalistischen Nebenwirkungen von Erica Jongs
»Fick ohne Reißverschluß«). Häufiger deutet der HorrorFilm noch weiter nach innen und sucht nach den tief verwurzelten persönlichen Ängsten - den Druckpunkten -, mit
denen wir alle fertig werden müssen. Das fügt ein Element
der Allgemeingültigkeit hinzu und könnte eine noch wahrhaftigere Kunstform hervorbringen. Das erklärt meiner Meinung nach auch, weshalb The Exorcist (ein sozialer HorrorFilm, wenn es je einen gegeben hat) in Westdeutschland nur
mittelmäßige Einspielergebnisse erhielt, weil dieses Land damals ein vollkommen anderes Arsenal sozialer Ängste hatte
(sie machten sich wesentlich mehr Sorgen über bombenwerfende Radikale als über junge Leute mit Gossensprache),
und weshalb Dawn of the Dead dort wie eine Rakete abging.
Diese zweite Art von Horror-Film hat mehr mit den Brüdern Grimm als mit den Aufmachern der Regenbogenpresse
gemein. Der B-Film als Märchen. Diese Art von Filmen
möchte keine politischen Punkte sammeln, sondern uns
Angst machen, indem sie gewisse Tabugrenzen überschreitet.
Wenn also meine Auffassung von Kunst richtig ist (sie gebet
mehr, denn sie nehmet), ist diese Art von Filmen von Wert für
das Publikum, weil sie ihm hilft, besser zu verstehen, was
diese Tabus und Ängste sind und warum sie so unbehaglich
sind.
Ein gutes Beispiel für diese zweite Art von Film ist RKOs The Body Snatcher (1945, dt: Der Leichendieb}, frei adaptiert
- und das ist noch höflich ausgedrückt - nach einer Story von
Robert Louis Stevenson, mit Karloff und Lugosi in
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